Erdogan setzt Europa dem Stresstest aus
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Streit um Grenztoten:Erdogan setzt Europa dem Stresstest aus

Türkei hofft auf Feuerpausen-Deal mit Putin
Erdogan setzt Europa dem Stresstest aus

Die angespannte Lage an der griechisch-türkischen Grenze eskaliert offenbar. Hat die griechische Polizei einen Flüchtling erschossen?
Publiziert: 04.03.2020 um 22:07 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2020 um 12:24 Uhr
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Ein verletzter Flüchtling mit Schusswunden an der griechischen Grenze – doch Athen dementiert Berichte über einen Toten.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Europa schiesst scharf. Das behaupten zumindest türkische Behörden. Griechische Grenzschützer sollen einen männlichen Flüchtling beim versuchten Grenzübertritt durch Schüsse getötet haben. Fünf weitere Flüchtlinge seien durch Schüsse «mit scharfer Munition» verletzt worden, teilte das Gouverneursamt der türkischen Region Edirne am Mittwoch mit.

Ob die Nachricht stimmt, ist noch unklar. Athen dementiert. «Meldungen über angebliche Verletzte durch griechische Schüsse weise ich kategorisch zurück», sagte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas am Mittwoch an einer Pressekonferenz in Athen. «Wo sie vorher von Verletzten sprachen, reden sie nun von Toten», fügte er hinzu. «Die Fake-News nehmen kein Ende, es gibt keinen solchen Vorfall mit Schüssen von griechischen Beamten.»

Dabei hatte auch eine Reporterin der Nachrichtenagentur dpa am Vormittag an der Grenze zunächst mindestens drei, kurz darauf eine Serie weiterer Schüsse gehört. Danach sei ein Ambulanzwagen in hohem Tempo aus dem Grenzgebiet gefahren, berichtete sie.

EU-Chefin steht hinter Griechenland

Stimmt der Bericht der Türkei, wäre es eine Zäsur: Seit der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdogan (66) aus Frust über den Flüchtlingsdeal mit Brüssel die Grenzen geöffnet hat, hoffen Tausende Flüchtlinge auf die Weiterreise in die EU. Die Lage an der griechisch-türkischen Grenze eskaliert – und die «Festung Europa» verliert die Nerven.

Die EU steckt im Dilemma. Am Dienstag hat sich die Führungsspitze an der Grenze zur Türkei ein Bild von der Lage gemacht. EU-Chefin Ursula von der Leyen (61) stellte sich dabei entschieden hinter Griechenland. Sie dankte dem Land dafür, in diesen Zeiten der «europäische Schild» zu sein. «Diese Grenze ist nicht nur eine griechische Grenze, es ist auch eine europäische Grenze.»

Erdogan will Feuerpause mit Putin

Allerdings: Ein «Schild» der EU darf nicht tödlich sein. Das weiss auch Erdogan, der die Verzweifelten als Druckmittel für seine Ziele einsetzt: eine «Lastenverteilung» der Flüchtlinge, mehr finanzielle Mittel für Ankara – und Unterstützung im Kampf um die Rebellenhochburg Idlib in Nordsyrien.

«Jedes europäische Land, das seine Grenzen für Flüchtlinge schliesst und sie zurückschickt, indem es sie schlägt oder ihre Boote versenkt oder sogar auf sie schiesst, verletzt die Menschenrechte», sagte Erdogan am Mittwoch.

Der türkische Machthaber ist für die EU Teufel und Hoffnungsträger zugleich. Am Donnerstag will er sich mit Wladimir Putin (67) treffen, um eine Feuerpause für Idlib zu vereinbaren. Russlands Präsident unterstützt dort in einem blutigen Kampf den syrischen Machthaber Baschar al-Assad (54), die Türkei hält dagegen.

Geht das Grauen von Idlib weiter, droht drei Millionen weiteren Menschen in der Region die Vertreibung. Und Europa ein noch grösserer Stresstest.

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