Der islamisch-konservative Politiker kündigte am Freitagabend in Ankara zugleich an, alle seine Strafanzeigen wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zurückzuziehen. In der Türkei sind nach offiziellen Angaben gut 1800 solcher Verfahren anhängig, auch gegen eine Reihe von Oppositionspolitikern.
Beobachter werten Erdogans Schritt als Versöhnungsgeste in Richtung Opposition. Es blieb zunächst unklar, ob das auch für Beleidigungsanzeigen im Ausland gilt - wie etwa Erdogans Klage gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann wegen dessen umstrittenen Gedichts «Schmähkritik». Seinen Kritikern unterstellte er generell, auf der Seite der Putschisten zu stehen.
Erdogan beklagte sich zudem über mangelnde Anteilnahme und Solidarität im Ausland nach dem Umsturzversuch. So seien etwa aus der EU und anderen westlichen Staaten keine Repräsentanten angereist, um ihr Beileid zu bezeugen, rügte er unter Verweis auf 237 getötete Zivilisten und loyale Sicherheitskräfte.
Mit Blick auf Türken mit Wohnsitz in Deutschland und Österreich sagte Erdogan, ihnen werde das Recht zu Protesten verwehrt. Teilweise dürften sie nicht einmal die türkische Flagge an ihren Häusern hissen.
Erdogan und die Regierung beschuldigen den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich zu sein. Erdogan hatte einen 90-tägigen Ausnahmezustand verhängt.
Polizei und Justiz gehen seit Tagen hart gegen mutmassliche Verschwörer vor. Bis zum Freitag wurden 18'044 Verdächtige mit mutmasslichen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Gülen festgenommen. Gegen 9677 von ihnen erging Haftbefehl.
Der regierungskritische türkische Journalist Can Dündar prangerte den immens gewachsenen Druck auf die Medien an. «Man kann kaum noch atmen», sagte der Chefredaktor der Zeitung «Cumhuriyet» in einem Interview der WDR-Sendung «Aktuelle Stunde». «Es gelten weder Recht, noch Demokratie oder Menschenrechte.» Die laufende Verhaftungswelle in Medien, Justiz und Militär nach dem gescheiterten Putsch habe unter Journalisten eine «allgemeine Atmosphäre des Schweigens und der Selbstzensur» befördert.
Dündar war im Mai zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Er war schuldig befunden worden, geheime Dokumente veröffentlicht zu haben, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien 2015 belegen sollen. Derzeit ist er bis zum Berufungsprozess auf freiem Fuss.
Die bei dem Umsturzversuch in der Türkei getöteten Putschisten sollen nun doch nicht auf einem «Friedhof der Verräter» in Istanbul ihre letzte Ruhestätte finden. Istanbuls Bürgermeister Kadir Topbas kündigte nach Angaben aus Regierungskreisen an, einen solchen Friedhof werde es doch nicht geben. Türkische Medien berichteten, ein im Osten Istanbuls auf einem Feld bereits aufgestelltes Schild mit der Aufschrift «Verräter-Friedhof» habe Topbas nach Beratungen mit der Religionsbehörde entfernen lassen.