«Der Ministerpräsident hat Präsident Erdogan gesagt, dass er trotz aller Bemühungen nicht in der Lage war, eine Regierung zu bilden, die eine Vertrauensabstimmung gewinnen könnte», hiess es nach dem anderthalbstündigen Treffen in Ankara in einer Erklärung des Präsidialbüros. Erdogan habe Davutoglu für seine Bemühungen gedankt.
Die Regierungspartei AKP hatte bei der Parlamentswahl am 7. Juni nach mehr als zwölf Jahren Alleinregierung ihre absolute Mehrheit im Parlament verloren. Am 9. Juli beauftragte Erdogan Regierungschef Davutoglu mit der Bildung einer neuen Regierung. Als Frist für diese Aufgabe wurde der kommende Sonntag gesetzt.
Nach dem Scheitern der Regierungsbildung dürfte es vorgezogene Neuwahlen geben, eine Premiere in der Türkei. Gemäss der Verfassung darf die AKP bis zu dem Urnengang mit einer Minderheitsregierung die Geschicke des Landes weiter bestimmen, wenn die Mehrheit der Abgeordneten den vorgezogenen Neuwahlen zustimmt. Wenn hingegen Erdogan die Neuwahlen ausruft, müsste eine Übergangsregierung aus allen vier Parteien im Parlament gebildet werden.
Die Parlamentswahl müsste nach ihrer Ausrufung binnen 90 Tagen abgehalten werden. Wenn Erdogan sie kurz nach Ablauf der Frist zur Regierungsbildung am 23. August ankündigt, wäre der 22. November ein möglicher Termin.
Oppositionspolitiker und Kommentatoren hatten Erdogan vorgeworfen, insgeheim eine Neuwahl anzustreben, um für seine AKP wieder eine eigene Mehrheit zu erreichen. In Umfragen liegt sie bei 42 bis 43 Prozent, was reichen würde, um allein zu regieren.
Der Verlust der Regierungsmehrheit bei den vergangenen Wahlen war ein schwerer Rückschlag für Erdogan. Er hatte darauf gesetzt, nach dem Urnengang durch eine Verfassungsänderung die Befugnisse des Präsidenten stärken zu lassen, der bislang vorwiegend repräsentative Aufgaben hat. Die Oppositionsparteien wollen das nicht mittragen. Grund für den Rückschlag bei der Wahl war auch der Erfolg der kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), die erstmals die Zehn-Prozent-Hürde übersprang und damit ins Parlament einzog.
Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen fällt mitten in die Eskalation des Konflikts mit den Kurden. Eine seit zwei Jahren geltende Waffenruhe mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) war in der Folge eines blutigen Anschlags der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Suruc zerbrochen, für den die Kurden der Regierung eine Mitschuld geben. Sie werfen ihr vor, das Treiben der Dschihadisten in der Türkei und Syrien zu lange geduldet zu haben.
Kritiker bezichtigen die AKP, mit der Offensive gegen die Stellungen der PKK im Südosten der Türkei und im Nordirak Stimmen bei den nationalistischen Wählern gewinnen und davon bei möglichen Neuwahlen profitieren zu wollen.