Es ist einer der wichtigsten Termine des Jahres für den US-Präsidenten: Die alljährliche Rede zur Lage der Nation. In der Nacht auf Mittwoch war es so weit: Donald Trump sprach im Capitol zu den versammelten Politikern, Richtern und Generälen. Noch viel reizvoller aus seiner Sicht: Alle grossen US-Fernsehsender übertrugen seine Ansprache live in die Wohnzimmer der über 300 Millionen Amerikaner.
BLICK nimmt Trumps knapp eineinhalbstündige Rede auseinander, fasst sie in acht wichtigen Punkten zusammen und unterzieht zentrale Aussagen einem Faktencheck:
1. Staatsmännischer Auftritt
Trump legt einen souveränen Auftakt hin, gibt sich – wie für diesen Anlass erwartet – staatsmännisch. Es gehe bei dieser Rede nicht um die republikanische Agenda, sondern um die amerikanische Bevölkerung. «Wir gewinnen nicht für unsere Partei, sondern wir alle siegen zum Wohl des Volkes.» Die Politik der Rache und Vergeltung müsse zugunsten von Kooperation und Kompromiss überwunden werden. Trump streicht weiter heraus, dass die Demokraten sowie die Republikaner dieselben Ziele verfolgen würden: ein funktionierendes Gesundheitssystem sowie ein faires und sicheres Migrationssystem zu entwickeln.
2. Selbstlob
Nach den netten Worten zum Start hebt Trump die Errungenschaften seiner Regierung hervor: «Wir erleben einen Wirtschaftsboom, den die USA noch nie gesehen hat.» Er habe über 600'000 Arbeitsplätze in der Industrie geschaffen, obwohl ihm jeder gesagt habe, dass dies nicht möglich sei. «Und die Löhne der Arbeiter, für die ich versprochen habe zu kämpfen, wachsen schneller als in jedem anderen Sektor.» Des Weiteren bezeichnet Trump die Strafrechtsreform, die von beiden Parteien unterstützt wurde, als grossen Erfolg.
Faktencheck: Seit Januar 2017 wurden gemäss dem Bureau of Labor Statistics nicht über 600'000, sondern 454'000 Arbeitsplätze in der Industrie geschaffen. Das ist in etwa vergleichbar mit dem Tempo der Obama-Regierung von 2014 bis 2016. Trumps Aussage ist FALSCH
Faktencheck: Die Löhne für Bau- und Fertigungsarbeiter steigen tatsächlich schneller als für Arbeiter in Dienstleistungsberufen. Trumps Aussage STIMMT
3. Neue Migranten-Karawane
Etwas überraschend rückt Trump sein Lieblingsthema vom vergangenen Herbst wieder ins Scheinwerferlicht: die sogenannten Migranten-Karawanen. Gemäss seinen Informationen seien wieder Tausende Flüchtlinge aus Mittelamerika aufgebrochen, um den langen Weg durch Mexiko unter die Füsse zu nehmen. «Wir haben gehört, dass sie mit Autos zu unbewachten Stellen an unserer Grenze gefahren werden», so Trump. Deshalb habe er 3750 weitere Soldaten an die Südgrenze beordert. «Ich möchte, dass mehr Menschen denn je in unser Land kommen. Aber sie müssen legal einreisen.»
Faktencheck: Tatsächlich hat sich im Januar eine neue Migranten-Karawane geformt. Viele Flüchtlinge wollen aber nach eigenen Angaben in Mexiko bleiben. Das Land hat den Mittelamerikanern den Zugang zu Arbeitsvisa erleichtert. Die Warnungen von Trump vor einer bevorstehenden Invasion durch die neue Karawane sind übertrieben. Trumps Aussage ist IRREFÜHREND
4. Streit um die Grenzmauer
Dann folgt der mit Spannung erwartete Abschnitt seiner Rede: jener zum Shutdown-Streit. Trump nennt zu Beginn einige Beispiele, weshalb aus seiner Sicht ein Mauerbau zwingend ist: Eine von drei Frauen würden auf der Reise in die USA sexuell belästigt. Menschenhändler würden Tausende junge Mädchen ins Land schmuggeln und sie als Sexsklavinnen verkaufen. Und dem Drogenschmuggel würden letztlich «Zehntausende Amerikaner» zum Opfer fallen.
Dann wird Trump angriffslustig. «Die Mauer wird gebaut», ruft er durch den Saal. Bei seinem Vorhaben handle es sich nicht nur um eine einfache Betonmauer, sondern um eine kluge, strategische Stahlbarriere, durch die man schauen könne. «Mauern funktionieren und retten Leben. Also lasst uns zusammenarbeiten, Kompromisse finden und uns einigen.» Er habe dem Kongress einen neuen Vorschlag unterbreitet, so Trump weiter, ohne auf Details einzugehen.
Die Reaktionen im Capitol fallen unterschiedlich aus: Die Republikaner geben dem Präsidenten eine Standing Ovation, die Demokraten bleiben sitzen.
Faktencheck: Dass jede dritte Frau auf dem Weg in die USA Opfer von sexueller Belästigung wird, fand eine Studie um die Jahrtausendwende heraus. Neuere Erhebungen gehen von ungefähr zehn Prozent aus. Trumps Aussage ist IRREFÜHREND
5. Das Jahr der Frauen
Trump richtet sich an die anwesenden Frauen im Saal, sagt: «Alle Amerikaner können stolz darauf sein, dass wir mehr arbeitende Frauen in der Belegschaft haben als jemals zuvor.» Er hebt weiter hervor, dass so viele weibliche Abgeordnete wie noch nie zuvor im amerikanischen Kongress sitzen.
6. Handelsstreit mit China
Hier bleibt der US-Präsident vage. Neue Erkenntnisse zum Stand der Verhandlungen gibt es nicht. Man habe den Chinesen klargemacht, dass sie den Amerikanern nicht mehr ohne Konsequenzen Arbeitsplätze wegnehmen können, so Trump. «Wir haben kürzlich Zölle auf chinesische Waren im Wert von 250 Milliarden Dollar eingeführt – und jetzt erhält unser Finanzministerium Milliarden von Dollar.»
Faktencheck: Seitdem die Trump-Regierung Zölle auf bestimmte Einfuhren aus China erhoben hat, sind die Zolleinnahmen des Bundes tatsächlich gestiegen. Die Einnahmen nahmen im dritten Quartal 2018 um 13 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Vorjahr zu. Trumps Aussage STIMMT
7. Treffen mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un
Paukenschlag: Trump gibt bekannt, dass er Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un am 27. und 28. Februar in Vietnam treffen wird. «Wäre ich nicht Präsident geworden, wären wir jetzt in einem verheerenden Krieg mit Nordkorea», so der US-Präsident. Obwohl seine Geheimdienste anderer Auffassung sind, unterstreicht er die Fortschritte mit dem isolierten Staat. Seit 15 Monaten hätten keine Raketentests mehr stattgefunden und er unterhalte eine «sehr gute Beziehung» zu Kim Jong Un.
Faktencheck: Die Behauptung, dass sich die USA und Nordkorea ohne Trump in einem grossen Krieg befinden würden, ist stark anzuzweifeln. Im letzten Jahr von Barack Obama als US-Präsident gab es keine Anzeichen, dass eine militärische Eskalation bevorstehen könnte. Trumps Aussage ist IRREFÜHREND
8. Seitenhieb gegen die Demokraten
Trump hält sich mit giftigen Kommentaren zu seinen politischen Widersachern zurück. Nur einmal schiesst er eindeutig gegen die Demokraten: «Mit Krieg und Ermittlungen gibt es weder Friede noch Gesetze. Falls es Frieden und Gesetze geben soll, kann es keinen Krieg und keine Ermittlungen geben. Das funktioniert einfach nicht!»
Mit der Kritik zielt Trump offensichtlich auf die Untersuchungen zur Russland-Affäre im Kongress sowie andere Ermittlungen zu seiner Person oder seinem Umfeld ab, welche die Demokraten mit ihrer neuen Mehrheit im Repräsentantenhaus vorantreiben.
Seit Donald Trump 2016 zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt wurde, wirbelt er die internationale Politik durcheinander. Bleiben Sie auf dem Laufenden mit allen Bildern, News & Videos aus den USA.
Seit Donald Trump 2016 zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt wurde, wirbelt er die internationale Politik durcheinander. Bleiben Sie auf dem Laufenden mit allen Bildern, News & Videos aus den USA.