Dass man den Tag nicht vor dem Abend loben sollte, wissen eigentlich auch die generell überaus optimistischen Amerikaner. Bis jetzt steht nicht mit Sicherheit fest, wie die Mehrheitsverhältnisse im amerikanischen Parlament für die kommenden zwei Jahre aussehen werden. Und doch war der Jubel unter den mehrheitlich demokratischen Anhängern im Tune Inn, einem hippen Washingtoner Pub unweit des Kapitols, schon in den frühen Morgenstunden nach dem Midterms-Wahltag nicht zu überhören.
Die «gigantische rote Welle», die Donald Trump (76) und seine Anhänger in den vergangenen Tagen immer wieder prophezeit hatten, ist ausgeblieben. Joe Biden (79) und seine Demokraten können ihre Mehrheit im Senat (dem Ständerat der USA) aller Voraussicht nach halten. Und auch im Repräsentantenhaus (dem Nationalrat der USA) dürften die Republikaner nur mit einer hauchdünnen Mehrheit davonkommen.
Trump wird zum Serien-Verlierer
In einem Satz: Donald Trump hat gegen Joe Biden verloren, schon wieder!
Drei Erkenntnisse lassen sich aus den amerikanischen Zwischenwahlen jetzt schon gewinnen:
Erstens: Hinter der Trump-Manie, die auf all den «Trump»-Fahnen in den Gärten des amerikanischen Hinterlandes und auf all den «Vermisst ihr mich schon?»-Trump-T-Shirts an den Rallys des Ex-Präsidenten zum Ausdruck kommt, steckt eine zwar laute, aber eben doch eher kleine Fan-Gemeinde. Die deutliche Mehrheit der Amerikaner hat ihren Protest gegen die «Lauten» ganz still an der Wahlurne zum Ausdruck gebracht.
Dass Trump jetzt tobt und seine Anhänger in die Tiraden einstimmen, wird zwar wieder mediale Wellen schlagen. Letztlich aber zeigen die deutlichen Niederlagen der von Trump unterstützten Kandidaten (etwa vom Senatskandidaten Mehmet Oz (62) im wichtigen Swing State Pennsylvania), dass selbst die Republikaner langsam genug haben vom Geplärre des einst mächtigsten Mannes im Land.
Die Republikaner haben einen neuen Superstar
Zweitens: Amerikas Rechte hat einen neuen Superstar: Ron DeSantis (44), Gouverneur von Florida, dem wichtigen Swing State. DeSantis hat das Rennen um das höchste Exekutivamt in Florida mit fast 20 Prozentpunkten Abstand auf seinen demokratischen Herausforderer gewonnen – nicht zuletzt dank einer überwältigenden Zustimmung der Latino-Wählenden.
Der Jurist mit Abschlüssen der Elite-Universitäten Harvard und Yale hat Florida mit einer gewagten Öffnungspolitik erstaunlich gut durch die Pandemie gebracht und zuletzt eng mit US-Präsident Joe Biden zusammengearbeitet, nachdem ein Hurricane weite Teile seines Heimatstaates verwüstet hatte. Der Irak-Veteran und einstige Berater der Elite-Truppe Navy Seals gilt als «Trump mit Hirn». Er tritt überzeugend auf und dürfte in Kürze seine Kandidatur für den Präsidentschaftswahlkampf 2024 verkünden. Die Demokraten müssen sich warm anziehen.
Hart umkämpftes Georgia
Drittens: Fans der amerikanischen Wahlschlachten müssen sich nicht bis 2024 gedulden, bis die politische Super-Show wieder losgeht. Das hart umkämpfte Senatsrennen im südlichen Bundesstaat Georgia geht mit allergrösster Wahrscheinlichkeit in die zweite Runde. Nach Auszählung von mehr als 95 Prozent der Stimmen haben weder der Trump-Mann und Ex-Football-Star Herschel Walker (60) noch der demokratische Priester Raphael Warnock (53) die 50-Prozent-Grenze geknackt.
Deshalb kommt es am 6. Dezember zum zweiten Wahlgang. Für Georgia wird das Rennen zwischen den beiden tiefreligiösen Streithähnen, die sich zuletzt öffentlich übel beschimpft hatten, ein wenig versöhnlicher Start in den Advent.