«Rücktritt!» schreit es Boris Johnson von allen Seiten entgegen. Sein jüngster Ausrutscher bringt das Fass für viele zum Überlaufen: Der britische Premier hat einen Parteikollegen befördert, obwohl er um die Belästigungsvorwürfe gegen ihn wusste. Seit Dienstagabend sind ihm 36 Regierungsmitglieder und Mitarbeiter davongelaufen.
Johnson hat sich vieles geleistet. Die Corona-Partys oder der Spesenskandal um teure Wohnungseinrichtungen sind nur zwei der Tiefpunkte. Dass der struwwelpetrige Showman den noblen Damen und Herren im Königreich zuweilen schlicht «too much» ist, überrascht nicht.
Doch diese innenpolitischen Verwerfungen sollten nicht davon ablenken: Europa braucht Johnson mehr denn je. Kein Politiker der Welt – ausser dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski – hat Putin klarer die Leviten gelesen. Und nur US-Präsident Joe Biden hat den Ukrainern noch mehr Waffen geschickt als der britische Regierungschef.
Während Deutschlands Kanzler Olaf Scholz weiter nach seiner Rolle sucht und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für mehr Dialog mit Putin wirbt, ballt Johnson die bleichen Fäuste zum Kampf gegen die Bedrohung aus dem Kreml. In der Ukraine lieben sie ihn dafür. Die Briten wollen ihn rausschmeissen, die Hafenstadt Odessa hat ihm soeben den Ehrenbürgertitel verliehen.
Johnson sei mehr Clown denn Premier, monieren seine Gegner. Mag sein. Was sie übersehen: Die Ernsthaften, die derzeit den Kreml halbwegs bändigen, sind Clowns wie Johnson oder der Ex-Komiker Selenski. Die Welt braucht sie dringend. Nur sie scheinen wirklich willens, die Show des brutalen Dompteurs in Moskau zu stören.
