Die russischen Truppen versuchen seit Monaten, Bachmut einzunehmen – koste es, was es wolle. Nun könnten sie kurz davor sein: Laut der Söldner-Gruppe Wagner hat die russische Armee am Donnerstag einen Durchbruch im westlichen Teil von Bachmut geschafft. Damit kontrolliert sie nach eigenen Angaben 99 Prozent der ostukrainischen Stadt.
Dennoch fragt sich, ob Russland jetzt sein Ziel in Bachmut erreicht hat. Die Antwort: noch nicht ganz. Dies sagt auch Gerhard Mangott (56), Militärexperte an der Uni Innsbruck. Er relativiert die Zahlen: «Die ukrainischen Truppen kontrollieren noch immer sieben bis acht Prozent der Stadt, vor allem im Westen.» Trotzdem: Es sieht nicht rosig aus für die Ukrainer in Bachmut. Denn laut Mangott machen die Russen weiter Fortschritte – und könnten die ganze Stadt einnehmen.
Entscheidet sich Schlacht um Bachmut bald?
Während die Russen also auf bestem Wege sind, sich die ganze Stadt einzuverleiben, verzeichnen die Ukrainer ihrerseits rund um Bachmut immer wieder Landgewinne. Der Sprecher der Armeegruppe Ost, Serhij Tscherewati (47), erklärte am Donnerstag: «Es gelang uns innerhalb eines Tages, zwischen 1500 und 1700 Meter voranzukommen.»
Laut Experte Mangott sind das grosse Fortschritte. «Damit kesseln sie die Russen im Stadtzentrum immer weiter ein.» In der nächsten Woche werde sich zeigen, ob es die Ukrainer schaffen können, den Feind komplett zu umzingeln.
Ukrainer machen wichtige Fortschritte
Die nicht enden wollende Schlacht um Bachmut kann man aktuell als zwei getrennte Kämpfe verstehen: den an den Flanken und den innerhalb der Stadt. Doch auch wenn die russischen Truppen die Schlacht um die Stadt gewinnen: Sie gehen nicht als Sieger aus diesem Gefecht hervor. Ganz im Gegenteil, betont Matthew Schmidt (47), Experte für Militärstrategien an der US-Universität New Haven, im Gespräch mit Blick.
Es mag paradox klingen: Obwohl die Russen bald die ganze Stadt besetzen, sind sie trotzdem die Verlierer, so Schmidt. Denn an sich ist Bachmut kein strategisch wichtiger Ort. Wichtiger sind daher Fortschritte, wie die Ukraine sie macht: Die Stadt umgehen und den Russen den Weg heraus abschneiden, ihre Verteidigungslinien und Lieferketten durch- und unterbrechen.
Trotzdem beharren die russischen Truppen darauf, weiterhin um das Stadtzentrum zu kämpfen – statt ihre Verteidigungen am Stadtrand aufzustocken. Laut Schmidt liegt das am hohen symbolischen Stellenwert von Bachmut. «Das russische Militär muss die Stadt komplett unter Kontrolle bekommen. Nur so sind die ganzen Opfer – menschlich sowie materiell – gegenüber dem russischen Volk zu rechtfertigen.»
Er führt aus: «Wenn die Russen nicht auf grosse, offensichtliche Weise gewinnen, dann haben sie verloren. Ganz gleich, wie viel Territorium sie tatsächlich kontrollieren.»
Der Sieg in Bachmut wäre also ein symbolischer Sieg für die Russen. Jedoch einer von geringer strategischer Bedeutung – und mit unglaublich hohen Verlusten. Aber: Zum russischen Sieg wird es nicht kommen, sagt Schmidt. Denn zumindest aus strategischer Sicht ist der Experte sicher: «Russland hat die Schlacht um Bachmut bereits verloren.»