Total-Quarantäne in Indien
Mit «rücksichtsloser Eindämmung» gegen Corona

Die indischen Behörden riegeln Coronavirus-Hotspots komplett ab. In betroffenen Gebieten gilt ein absolutes Ausgehverbot. Die Polizei bringt den Menschen Essen und Medikamente. Das Gesundheitsamt klopft an jede Tür.
Publiziert: 22.04.2020 um 14:08 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2020 um 14:50 Uhr
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Die Polizei geht in Bhilwara knallhart gegen Quarantäne-Verstösse vor.
Foto: imago images/Pacific Press Agency

Der ärmlichen Textilhochburg Bhilwara im indischen Bundesstaat Rajastan soll es mit einer Strategie der «rücksichtslosen Eindämmung» offenbar gelungen sein, das Coronavirus zu stoppen. Seit Ende März, mehr als einen Monat nach dem Bekanntwerden des ersten Falls, sind in der 400'000 Einwohner zählenden Stadt nur noch sieben Neuinfektionen gemeldet worden.

Die indische Regierung hat Bhilwara nun zum Vorbild für alle anderen Coronavirus-Hotsposts erklärt. Tauchen irgendwo Coronavirus-Fälle auf, soll das Gebiet rigoros abgeriegelt, Geschäfte und Schulen geschlossen, der öffentliche Verkehr eingestellt werden. Sogar Fahrten mit Auto oder Töff wurden in Bhilwara nach dem Ausbruch des Virus verboten.

Balanceakt für die Regierung

Die indische Regierung will mit dem rigorosen Vorgehen an Hotspots ermöglichen, dass das Leben anderswo ohne Komplett-Stillstand den Umständen entsprechend einigermassen normal weitergehen kann. Dies insbesondere im Hinblick auf Mega-Metropolen wie Neu-Delhi, wo der Druck auf die Behörden wächst, den Lockdown zu lockern.

Die Arbeiter finden aufgrund der Massnahmen keine Arbeit, haben kein Einkommen. Staat und Hilfsorganisationen müssen derzeit Millionen Menschen vor dem Hunger bewahren. Das ist eine tickende Zeitbombe. Dies ist auch Premierminister Narendra Modi bewusst. Es dürfe jetzt nicht nur darum gehen, «das Leben der Menschen zu retten, sondern auch ihren Lebensunterhalt», sagte er unlängst in einer Rede.

Infizierte werden in Quarantäne-Zentren untergebracht

Weil es in den Städten keine Arbeit mehr gibt, wollen die Menschen in ihre Dörfer zurück. Doch Züge und Busse fahren keine. Deshalb treten viele Arbeiter den weg zu Fuss an. Eigentlich gilt bis am 4. Mai in ganz Indien eine Ausgangssperre. Weil diese in dem bevölkerungsreichen Land nur schwer zu halten ist, wollen die Behörden kleinmaschig nach dem Vorbild von Bhilwara vorgehen und betroffene Zonen – wenn nötig einzelne Strassen – möglichst komplett abriegeln.

Polizisten sollen Ein- und Ausgänge kontrollieren und Fieber messen. So sollen rote und grüne Zonen getrennt werden. Die Bewohner der vom Ausbruch betroffenen roten Zonen müssen riesige Opfer bringen. Das zeigen die Berichte aus dem Vorbild-Bezirk Bhilwara: Dort gilt eine Total-Quarantäne. Selbst das Einkaufen von Lebensmitteln ist untersagt. Die Polizei bringt den Menschen Essen und Medikamente. Das Gesundheitsamt klopft zum Fiebermessen an jede einzelne Tür. Infizierte und Menschen, die mit ihnen Kontakt hatten, werden in Quarantäne-Zentren der Behörden untergebracht.

Offizielle Zahlen werfen Fragen auf

In Bhilwara und den umliegenden Dörfern haben die Behörden mehr als eine Viertelmillion Menschen untersucht. Doch in Indien werden oftmals nur die Symptome abgeklärt. Coronavirus-Testkits sind Mangelware. Im internationalen Vergleich wird wenig getestet. Die Regierung muss sich deshalb die Kritik gefallen lassen, die Erklärung einzelner Gebiete zu Hotspots sei willkürlich. Ashish Jha, Direktor des Harvard Global Health Institute, sagt zum «Indian Express»: «Wenn man beschliesst, lediglich in Hotspots eine Ausgangssperre zu verhängen, dann ist meine erste Frage: Wie weiss man denn überhaupt, welche Orte ein Hotspot sind?»

In Indien gibt es offiziellen Zahlen zufolge erst 20'178 Corona-Fälle. 645 Infizierte starben. Die Zahl der durchgeführten Tests wird mit 462'621 angegeben. Das ist im Land mit der zweitgrössten Bevölkerungszahl der Welt nach China äusserst wenig. (noo)

Coronavirus

Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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