Grossbritannien stürzt in eine Regierungskrise. Begleitet von scharfer Kritik an Premierminister Boris Johnson haben Finanzminister Rishi Sunak (42) und Gesundheitsminister Sajid Javid (52) ihre Ämter niedergelegt. Er habe das Vertrauen in den Regierungschef verloren, schrieb Javid in seinem am Dienstagabend veröffentlichten Rücktrittsschreiben. Unter der Führung von Boris Johnson (58) werde die Konservative Partei von der Öffentlichkeit weder als wertegeleitet angesehen, noch diene sie dem nationalen Interesse.
Auch nach dem parteiinternen Misstrauensvotum, das Johnson kürzlich knapp gewann, habe der Premier keinen Kurswandel eingeleitet. «Mir ist klar, dass sich diese Situation unter Ihrer Führung nicht ändern wird», schrieb Javid.
Finanzminister Sunak betonte, er sei immer loyal zu Johnson gewesen. «Aber die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass die Regierung richtig, kompetent und ernsthaft handelt.» Der Sender Sky News zitierte ein namentlich nicht genanntes Regierungsmitglied, dass Johnson nun kaum noch im Amt zu halten sei.
Die Opposition fordert inzwischen den Rücktritt von Johnson. Es sei «klar, dass diese Regierung jetzt zusammenbricht», schrieb Oppositionsführer Keir Starmer (59) von der Labour-Partei in einer ersten Reaktion: «Die Tory-Partei ist verdorben und es wird nichts in Ordnung bringen, lediglich einen Mann auszutauschen.» Was das Land brauche, seien rasche Neuwahlen.
Tory-Abgeordnete kritisieren Vorgehen der Regierung
Ein Regierungssprecher räumte am Dienstag ein, dass Premierminister Boris Johnson (58) bereits 2019 über Anschuldigungen gegen seinen konservativen Parteifreund Chris Pincher (52) informiert worden sei. Bisher hiess es, Johnson seien keine konkreten Vorwürfe bewusst gewesen.
Zuvor hatte Ex-Staatssekretär Simon McDonald (61) in einem beispiellosen Brief an die Beauftragte für die Einhaltung parlamentarischer Standards geschrieben, Johnson sei persönlich über Belästigungsvorwürfe gegen den ehemaligen Europa-Staatssekretär informiert worden.
Pincher hatte bereits mehrere Regierungs- und Parteiämter inne und war im Februar von Johnson zum sogenannten Vize-Whip ernannt worden. Die Aufgabe des Whips (Einpeitschers) ist es, für Fraktionsdisziplin zu sorgen. In der vergangenen Woche trat Pincher zurück, nachdem Medien berichtet hatten, er habe zwei Männer im betrunkenen Zustand begrapscht. Inzwischen wurde auch seine Mitgliedschaft in der Fraktion ausgesetzt. Seitdem wurden weitere Anschuldigungen bekannt.
Johnsons Sprecher legte nun eine Kehrtwende hin. Mittlerweile habe sich herausgestellt, dass der Premier doch über frühere Vorwürfe gegen Pincher informiert worden sei, sagte er. Johnson habe sich daran zunächst nicht erinnern können, sagte der für das Kabinett zuständige Staatssekretär Michael Ellis später im Unterhaus. Mehrere Tory-Abgeordnete kritisierten das Vorgehen der Regierung in dem Fall deutlich.
Ex-Staatssekretär McDonald verteidigte sein Vorgehen. Der BBC sagte er, sein Brief sei zwar ungewöhnlich für einen pensionierten Beamten. Aber er betonte: «Ich habe das aus eigenem Antrieb gemacht, weil ich wusste, dass das, was ich in den vergangenen Tagen gesehen und gelesen habe, falsch ist.» (SDA/AFP/chs)