In Luxemburg treffen sich die EU-Aussen- und Innenminister heute Nachmittag zur Krisensitzung. «Wir haben schon zu oft gesagt: ‹Nie wieder!›», sagte Federica Mogherini, die Aussenbeauftragte der Europäischen Union, gestern. Nun will man mit Taten statt Worten auf die jüngste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer reagieren.
So gross die Bestürzung ob der jüngsten Tragödie, so klein allerdings auch die Erwartungen an den Krisengipfel. Darüber, dass akuter Handlungsbedarf besteht, ist man sich europaweit einig. Dass im modernen Konferenzzentrum am Europaplatz heute konkrete Massnahmen beschlossen werden, wird aber als eher unwahrscheinlich betrachtet. Schliesslich sind es 28 Staaten, die sich einigen müssen. 28 Staaten mit unterschiedlichsten Problemstellungen und Interessen in Sachen Asylpolitik.
Zudem steht das Thema längst nicht das erste Mal auf der Agenda der EU-Politiker. Eine Patentlösung konnte bisher nicht gefunden werden. Sehr wohl gibt es allerdings Vorschläge, wie der Weg für Flüchtlinge und Migranten nach Europa sicherer gemacht werden kann. Im Folgenden eine Zusammenstellung der zentralen Ideen:
Auf dem Meer
Im Fokus der Kritik von Hilfswerken steht die Mission «Triton» der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Im Gegensatz zur Vorgängermission «Mare Nostrum» der italienischen Küstenwache und Marine hat sie nicht die Suche und Rettung von Menschen in Seenot zum Ziel, sondern kümmert sich primär um die Überwachung der EU-Aussengrenzen. Ihr steht ein über dreimal tieferes Budget zur Verfügung als «Mare Nostrum», die Flugzeuge und Schiffe patrouillieren nur in küstennahem Gewässer.
Nach der jüngsten Flüchtlingskatastrophe rund 110 Kilometer vor Lampedusa wird nun eine Ausweitung der Frontex-Mission laut. Sie müsse mit mehr finanziellen Mitteln ausgestattet werden, heisst es.
Weiter geht die Forderung nach einer erneuten Such- und Rettungsmission, nun allerdings nicht allein durch Italien, sondern die gesamte EU getragen. Doch das Ende von «Mare Nostrum» hatte nicht nur finanzielle Gründe: Durch das Einsatzgebiet bis nah an die afrikanische Küste würden Schlepper immer skrupelloser vorgehen, so die Kritik. Schliesslich muss es ein Schiff nur noch wenige Kilometer weit schaffen – dann kommt ein Rettungsboot zu Hilfe und übernimmt den Transport bis nach Italien, Malta oder Griechenland.
Um das Geschäft der Schlepper auszuhöhlen, schlagen einige Hilfswerke vor, den Transport der Flüchtlinge und Migranten selbst zu übernehmen. Es sei die «Pflicht Europas und der Welt», eine sichere Reise nach Europa zu garantieren, sagt Helmut Dietrich von «Watch the Med», eine Notrufhotline für Flüchtlinge in Seenot, zum «Tagesspiegel». «Wir fordern eine sofort einzurichtende direkte Fährverbindung für Flüchtlinge aus Tripolis und anderen Orten Nordafrikas nach Europa.»
An der Küste
Viele Politiker hingegen fordern, direkt in Afrika anzusetzen. Dort, wo die meisten Flüchtlingsboote in See stechen.
Nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen CDU, Thomas Strobl, macht eine offizielle Fährverbindung zwischen Afrika und Europa nur Sinn, wenn in Ländern wie Libyen oder Ägypten Auffangzentren gebaut würden. Betreiben von der UNO oder der EU sollen sie Asylgesuche noch auf afrikanischem Boden prüfen. Nur wer Asyl bekommt, soll dann – dafür auf sicherem Wege – nach Europa reisen dürfen.
Doch was geschieht mit den Menschen, die kein Asyl erhalten – eine Mehrheit der Antragsteller? Experten zufolge wird mit einem solchen Modell der illegale Transfer nach Europa nicht verhindert. Zudem würden die Zentren wohl bald aus allen Nähten platzen.
In Europa
Trotzdem ein Befürworter des Modells ist der Zuger CVP-Nationalrat Gerhard Pfister. Seiner Ansicht nach müsste dieses allerdings mit einem Verteilschlüssel verbunden sein, der die Aufteilung der Flüchtlinge und Migranten innerhalb Europas regeln würde. Das heute geltende Dublin-System würde damit hinfällig.
Ein verbindlicher Verteilschlüssel war bereits an einem EU-Innenminister-Treffen von vergangenem Oktober, an dem auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga teilnahm, Diskussionsthema. Einigen konnte man sich damals aber nur auf eine freiwillige Verteilung von Flüchtlingen. Auch Sommaruga gab sich nur gesprächsbereit, sollte Italien seinen Dublin-Pflichten nachkommen und alle Asylbewerber registrieren. Aufgrund der grossen Zahl an Flüchtlingen und Migranten ist Rom damit momentan komplett überfordert.
Hilfswerke wie die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR fordern weiter eine (Wieder-)Einführung des Botschaftsasyls, das ermöglicht, auf einer Botschaft Asyl zu beantragen und im Falle einer Gewährung sicher in die Schweiz zu reisen. Im Rahmen der Asylgesetzrevision im Sommer 2013 war es in der Schweiz abgeschafft worden.
In den Herkunftsländern
Schliesslich betonen Hilfswerke aber auch, dass eine nachhaltige Lösung des Problems mit einer Entspannung der politischen und wirtschaftlichen Situation in den Ursprungsländern der Flüchtlinge und Migranten einhergeht. Immer mehr Menschen fliehen wegen Kriegs aus Ländern Afrikas und des Nahen Ostens. Politiker fordern nun eine Erhöhung der Entwicklungshilfe-Budgets. Damit die Menschen das Glück nicht mehr in Europa suchen müssen, sondern in ihrer Heimat finden. (lha)