Thomas Nierle, Präsident von Médecins Sans Frontières, über die Flüchtlingskrise
«Die Bedürftigsten sind die, die zurückbleiben»

Sie sind dehydriert, haben Blutvergiftungen, Lungenentzündungen oder können chronische Krankheiten wie Diabetes auf ihrer Flucht nach Europa nicht behandeln. «Der Gesundheitszustand der Flüchtlinge verschlechtert sich auf ihrem Weg extrem», sagt Thomas Nierle, Präsident der Médecins Sans Frontières (MSF) Schweiz.
Publiziert: 09.10.2015 um 21:44 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 15:52 Uhr
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Omran (6) aus Syrien.
Foto: ZVG
Von Jessica von Duehren

Seit Monaten sind die Ärzte ohne Grenzen auf Sizilien, in Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich tätig. Nierle sieht den Einsatz der Hilfsorganisation in Europa kritisch, sagt sogar: «Wir würden gerne darauf verzichten, hier tätig zu sein.» Europa sei finanziell durchaus in der Lage, sich um die Flüchtlinge zu kümmern.

Aber: «Die Politiker verschliessen die Augen und hoffen, dass sich das Problem von alleine löst», sagt Nierle, «das wird es aber nicht.» Er prangert die Zustände in den Notlagern an. Krätze-Epidemien seien an der Tagesordnung, die hygienischen Verhältnisse eine Katastrophe. «Die Lebensbedingungen in den Camps müssen wenigstens einigermassen menschlich sein.»

Nicht mal das schafft Europa. Das fehlende Engagement hat fatale Folgen für die Hilfsorganisation. Durch den Einsatz in gut entwickelten Ländern wie Ungarn, Serbien oder Österreich müssen die Médecins Sans Frontières ihre Arbeit in Kriegsgebieten wie Syrien oder Afghanistan einschränken – ihre eigentlichen Einsatzgebiete. Geht es nach Nierle, muss dieser Zustand so schnell wie möglich ein Ende finden. «Die Bedürftigsten sind die, die zurückbleiben. Auf sie würden wir uns gerne konzentrieren.»

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