Hier flüchten die Konzertbesucher über eine Brücke
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Amoklauf in Moskau:Hier flüchten die Besucher über eine Brücke

Tessiner Sicherheitsexperte Stefano Piazza (57) warnt vor klaren Botschaften im Darknet
«Der IS plant Attentate auf Stadien in Europa»

Seit dem Anschlag auf die Konzerthalle bei Moskau steigt in Europa die Angst vor neuem IS-Terror. Mit Recht, sagt Stefano Piazza (57). Im Blick-Interview erklärt der Tessiner Sicherheitsexperte, womit wir jetzt rechnen müssen.
Publiziert: 10.04.2024 um 09:53 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2024 um 10:56 Uhr
Am 22. März 2024 dringen maskierte Männer mit Kalaschnikows und Brandsätzen ins grosse Konzertlokal Crocus City Hall im Nordwesten Moskaus. Sie richten im Namen Allahs ein Blutbad an.
Foto: IMAGO/SNA
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Sein Jagdrevier ist das Darknet. Im Visier hat Stefano Piazza (57) die Propaganda des IS. Der Journalist, Buchautor und Dozent an der Universität Aldo Moro in Bari warnt vor einer neuen Anschlagswelle, die Europas Metropolen treffen wird – schon vor der Fussball-EM in Deutschland im Juni und den Olympischen Spielen in Paris im Juli 2024.

Blick: Seit dem Attentat auf die Konzerthalle bei Moskau am 22. März 2024 geht in Europa die Angst vor dem IS-Terror um. Zu Recht?
Stefano Piazza: Absolut! Internationale Geheimdienste haben Hinweise auf drohende Anschläge. Nach dem Attentat auf die Moskauer Crocus City Hall folgten zahlreiche Aufrufe des IS, westeuropäische Metropolen zu attackieren. Die Aufrufe sind auf den IS-Kanälen im Darknet und zum Teil auf Französisch und Englisch. 

Werden im Netz mögliche Ziele genannt?
Gerade in der Nacht auf Dienstag veröffentlichte der IS auf seiner Propaganda-Seite klare Aufrufe. IS-Kämpfer sollen grosse Sportveranstaltungen angreifen, Menschen in und ausserhalb der Stadien töten. Es werden beispielsweise das Metropolitano sowie das Santiago-Bernabéu-Stadion in Madrid, das Parc des Princes in Paris und das Emirates Stadium in London genannt. 

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Am 22. März 2024 dringen maskierte Männer mit Kalaschnikows und Brandsätzen in die Konzerthalle «Crocus City Hall» im Nordwesten Moskaus. Sie richten im Namen Allahs ein Blutbad an.
Foto: IMAGO/SNA

Wird es Terroraktionen während der Fussball-EM in Deutschland im Juni oder Olympischen Sommerspiele in Paris im Juli und August geben?
Ich fürchte, Attentate können auch schon vorher verübt werden. Die Aufrufe gelten ab sofort. Anschläge auf Stätten der Olympischen Spiele in Paris wurden ebenfalls angekündigt.

Wer wird mit den Aufrufen angesprochen?
Der IS kann komplexe Anschläge in Gruppen organisieren, wie jenen in Moskau. Er kann aber auch sogenannten «einsame Wölfe» für Einzelaktionen gewinnen. Der IS ist exzellent vernetzt und professionell ausgerüstet. Dass hinter dem Attentat auf die russische Konzerthalle der Geheimdienst eines Staates stecke, wie manche behaupten, ist Unsinn. 

Am Montag wurde auf dem Flughafen in Rom ein verdächtiger Tadschike (32) festgenommen. Was wissen Sie über ihn?
Der Mann kam aus dem holländischen Eindhoven. Er ist Mitglied des IS-K und hat schon in Syrien gekämpft. Die Geheimdienste beobachten ihn seit einem Monat. Was er in Italien vorhatte, ist bislang nicht bekannt. Er ist nur einer von vielen, die zurzeit in Europa unterwegs sind. Wir sind in einer hochbrisanten Situation. 

Welche Rolle spielt dieser IS-Ableger «Islamischer Staat Provinz Khorasan» (IS-K)?
Der IS-K ist Befehlsempfänger, ein operativer Arm des IS ohne eigenes Kommando. Wer beim IS zurzeit alle Fäden zieht, ist nicht bekannt. 

Sind auch Anschläge in der Schweiz möglich?
Durchaus. Die Schweiz ist wie jedes andere europäische Land mögliches Ziel des IS-Terrors. Ich habe allerdings den Eindruck, dass das bei unseren Politikern noch nicht angekommen ist. Ich bin davon überzeugt, dass es hier nicht darum geht, ob der IS zuschlägt, sondern wann. 

Warum droht gerade jetzt eine Anschlagswelle in Europa?
Das hat mehrere Gründe. Der religiöse Hass auf die Ungläubigen, auf den Westen ist ungebrochen. Dazu kommt Rache. 2019 wurde der Islamische Staat in Syrien und dem Irak mithilfe der USA und deren Alliierten zerschlagen. Damals flohen Tausende «Foreign Fighters» in ihre Heimat zurück, auch nach Europa. Während der Corona-Pandemie ruhte der Terror. Der IS konnte sich neu formieren. Und neu rekrutieren. Er ist in Deutschland, Frankreich, Belgien, Grossbritannien sowie in Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen verwurzelt, wo sich Menschen weiter radikalisieren. Heute geht man von 60'000 IS-Sympathisanten aus, zehn Prozent von ihnen sollen auch kampfbereit sein. 

Wegen des Gaza-Konflikts ist Europa bereits in Alarmbereitschaft. Ist es geschickt, ausgerechnet jetzt Terroraktionen zu planen?
Der IS wählt immer den richtigen Zeitpunkt. Die Angst vor gewaltbereiten Hamas-Anhängern in Europa lenkt die Geheimdienste vom IS ab. Deren Fokus liegt auf anderen Terroristen. So war der Zeitpunkt des Attentats in Moskau nicht zufällig. Der Kreml war auf die Ukraine fokussiert. Den IS hatte er nicht auf dem Schirm.

Mit welcher Art Terror müssen wir rechnen?
Auch der IS hat sich modernisiert – und wird möglicherweise Drohnenangriffe planen. In Deutschland und Grossbritannien konnten bereits geplante Drohnenattacken im Vorfeld verhindert werden. Gewaltakte werden neu mit Bodycams gefilmt und zeitgleich im Netz veröffentlicht. Das hat man schon in Moskau gesehen.

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