Tessiner Alfredo Eggemann (57) spricht über seine bangen Stunden in Kamerun
«Die Geiselnehmer waren weich und unsicher»

Am Montagnachmittag nahm eine Rebellentruppe in Kamerun eine Reisegruppe mit zwölf Personen als Geiseln. Unter ihnen: sieben Schweizer Touristen. Alfredo Eggemann (57) aus Origlio TI schildert gegenüber BLICK die Stunden der Angst.
Publiziert: 05.04.2018 um 21:42 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 17:47 Uhr
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Nachdem sie freikamen, wurde die Reisegruppe um Alfredo Eggemann (vorne, mit blauem Polo-Shirt) in die kamerunische Hauptstadt Yaoundé gebracht. Hier sitzt die Gruppe im Rahmen einer Pressekonferenz in einem Regierungsgebäude.
Foto: REUTERS
Nicolas Lurati

Sie waren als Tourist unterwegs – und dann von einer Sekunde auf die andere plötzlich Geisel. Was ist passiert?
Alfredo Eggemann:
Wir befanden uns im Westen Kameruns, Nahe der Grenze zu Nigeria, im englischsprachigen Teil des Landes. Wir verliessen die Hauptstrasse und fuhren auf einer ungepfadeten Strasse durch den Dschungel. Wir wollten Wasserfälle besichtigen. Wir steuerten auf ein kleines Dorf zu, als wir plötzlich von ein paar Männern mit rudimentären Gewehren angehalten wurden. Sie sagten uns, wir sollen sie zum Dorf bringen. Dort angekommen, warteten bereits weitere bewaffnete Männer auf der Strasse. Sie wollten uns nicht weiterfahren lassen. Sie sagten, wir sollen unsere Fahrzeuge verlassen.

Was waren das für Männer?
Es war eine Gruppe junger Typen, knapp 20 Personen, alle zwischen 18 und 30 Jahren alt. Es handelte sich um Rebellen, die das Dorf besetzt hatten.

Sie sprechen von rudimentären Gewehren. Was heisst das genau?
Sie hatten selbst gemachte Schrot-Gewehre mit Plastik-Munition. Es waren keine modernen, professionellen Waffen. Dennoch hätten sie damit Menschen töten können. Sie wollten wie Terroristen wirken, waren aber eher Hobby-Räuber. Ein Terrorist zeigt keine Milde, sondern agiert skrupellos. Doch diese Männer waren weich und unsicher. Die Gruppe war sich uneinig, es herrschten interne Konflikte unter den Männern.

Wurden Sie von den Männern bedroht?
Sie richteten die Waffen auf uns, schrien uns an – in sehr schlechtem Englisch. Die Geiselnehmer feuerten Schüsse in die Luft ab. Sie beschimpften uns. Dann nahmen sie uns die Pässe ab. Und unsere Fahrzeugschlüssel.

Was wollten die Geiselnehmer denn genau?
Sie meinten, wir würden die kamerunische Regierung unterstützen. Zudem sahen sie in uns den reichen, bösen, weissen Europäer, der Schwarzafrika ausbeutet.

Hatten Sie Angst um Ihr Leben?
Nein, ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass ich jetzt sterben müsste. Meine Partnerin hatte jedoch Todesangst. Klar, die ständige Bedrohung war mir bewusst. Doch ich merkte, dass es sich bei den Geiselnehmern nicht um Killer handelte. Sie haben uns nie physisch attackiert. Keiner der Entführten wurde verletzt.

Suchte die Reisegruppe das Gespräch mit den Entführern?
Wir beschwichtigten die Geiselnehmer, wir haben mit ihnen verhandelt. Wir taten, was sie verlangten. Nach vier Stunden einigten wir uns mit den Männern. Sie beruhigten sich. Sie begriffen, dass wir nichts mit der Regierung zu tun haben. Endlich konnten wir ihnen glaubhaft machen, dass wir Touristen ohne böse Absicht sind. Wir waren bereit weiterzufahren. Dann kam plötzlich ein Panzerfahrzeug der Regierung und schoss in die Luft. Die Geiselnehmer verschwanden auf der Stelle mit unseren Sachen.

Sie wurden vom Militär befreit?
Nein. Das Panzerfahrzeug fuhr nach zehn Minuten wieder weg. Die Geiselnehmer kamen nach einer Stunde zurück. Sie beleidigten uns, denn sie dachten, dass wir das Panzerfahrzeug angefordert hätten. Wir standen mit erhobenen Händen neben unseren Fahrzeugen.

Die Geiselnehmer dachten, dass sie das Militär um Hilfe baten?
Das war unglücklich. So mussten wir ihnen erklären, dass wir das Militär nicht alarmiert haben. Alles beruhigte sich. Die Rebellen gaben uns Ausweise und Fahrzeugschlüssel zurück. Dann fuhren wir weiter, weg vom Dorf. Wir holten das Panzerfahrzeug ein. 30 Soldaten waren vor Ort, die uns in die Kaserne brachten. Dort verbrachten wir die Nacht auf den Dienstag.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Regierung während und nach der Geiselnahme?
In diversen Medienberichten steht, dass ein Spezialkommando des Militärs uns befreite. Das stimmt nicht. Wir befreiten uns eher selbst – dank stundenlangen Verhandlungen mit den Geiselnehmern. Die Regierung bleibt jedoch bei der Version, dass sie für die Befreiungsaktion zuständig war. Doch das ist bloss eine Propaganda-Massnahme. Bald sind Wahlen. Die Regierungspartei will zeigen, dass sie alles unter Kontrolle hat.

Waren Sie sich mit Ihrer Reise durch Afrika solchen Gefahren bewusst?
So eine Geiselnahme kann überall auf der Welt passieren. Kamerun ist kein gefährliches Land. Ich würde mich an einer Silvester-Party in Brüssel oder Paris deutlich unsicherer fühlen. Ich kenne Schwarzafrika bestens, bin durch Tansania, Kenia, Mosambik, Nigeria und Südafrika gereist. Und ich würde es jederzeit wieder tun. Dass wir gekidnappt wurden, ist nicht unser Fehler. Die Regierung hat uns gesagt, die Region sei sicher.

Haben sie vor, jemals wieder nach Kamerun zu reisen?
Wir reisen jetzt weiter Richtung Tschad, ein Land im Norden Kameruns. Von dort aus fliegen wir Ende nächster Woche zurück in die Schweiz. An Weihnachten werden wir die Reise in Tschad fortführen. 2019 werden wir auf einer nächsten Reise Kamerun wieder durchqueren.

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