Was geschah wirklich in der Nacht vom 26. auf den 27. März 2019? Vor dem Landgericht Lübeck wurde diese Woche ein aussergewöhnlicher Fall verhandelt. Aussergewöhnlich nicht nur wegen des Angeklagten, eines ehemaligen Staatsanwalts (52). Der Fall ist auch besonders, weil der Beschuldigte behauptet, die Tat im Tiefschlaf begangen zu haben. Dies hätte bedeutet, dass der 52-Jährige nicht schuldfähig war.
Dem ehemaligen Staatsanwalt wird von seinem eigenen Sohn (8) vorgeworfen, ihn in jener Nacht sexuell missbraucht zu haben. Er könne sich an nichts erinnern, behauptete der Mann, wie «Der Spiegel» berichtet. Er leide an Sexsomnia, einer Schlafstörung, bei der der Betroffene beim Schlafwandeln Sex hat. Am Mittwoch wurde der 52-Jährige nun verurteilt. Wie «Bild» berichtet, bekam er eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Vier Monate davon gelten bereits als verbüsst.
Probleme bei der Arbeit
Der Vater – zur Tatzeit noch Staatsanwalt – durchlebte damals eine schwierige Zeit: Der Stress im Job machte ihm zu schaffen. Die Vorgesetzten waren nicht zufrieden mit seiner Arbeit. Er sei «tierisch genervt» gewesen, erzählte er dem psychiatrischen Sachverständigen, und habe unter «unheimlicher Anspannung» gestanden. An jenem Abend habe er drei, vier Bier getrunken, sich den Rest einer Whisky-Flasche eingeschenkt und damit «wegdämmern» wollen.
Am nächsten Morgen erzählte der Sohn, der Vater habe ihn mitten in der Nacht geweckt, ihn missbraucht, obwohl er sich gewehrt habe. Die Mutter brachte das Kind daraufhin zur Kinderärztin, zu einer Therapeutin und zur Polizei. Der 52-Jährige fuhr zur Arbeit und zeigte sich später selbst an.
Ehemalige Partnerin sagte aus
Inzwischen ist der Vater als Staatsanwalt im Vorruhestand. Aktuell hat er keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Seine Frau ist mit den drei gemeinsamen Kindern ausgezogen. Sie liess sich scheiden.
Der ehemalige Staatsanwalt streitet die Vorwürfe nicht ab und verharmlost sie auch nicht. Vor Gericht sagte eine ehemalige Partnerin des Beschuldigten aus, sie sei während der Beziehung mehrfach aufgewacht, weil er mit ihr schlafend Sex gehabt habe.
Dass der 52-Jährige an Sexsomnia leiden soll, erachtet der Anwalt des Sohnes als Schutzbehauptung. Vielmehr hält er eine sogenannte «dysfunktionale Coping-Strategie» für plausibel: dass der Vater mit dem sexuellen Missbrauch durch Machtausübung Stress abbauen wollte. (noo)