Bei einem Giftgas-Angriff auf die Stadt Chan Scheichun im Nordwesten Syriens sind laut Angaben von Aktivisten mindestens 100 Menschen gestorben. Unter den Toten sollen sich elf Kinder befinden.
Dutzende weitere Menschen litten nach dem Angriff unter Atembeschwerden und anderen Symptomen, berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die sich bei ihren Informationen auf ein Netz von Informanten stützt. Der Zustand vieler Verletzter sei ernst.
Die Stelle äusserte sich nicht dazu, welches Gift bei dem Angriff eingesetzt wurde. Von Aktivisten verbreitete Fotos zeigten zwei Männer mit Schaum vor dem Mund und Rettungskräfte der syrischen Weisshelme, die Verletzte mit Wasserschläuchen abwuschen.
Es folgten Bomben aufs Spital
Weiter berichten die Aktivisten, dass es kurz nach dem Giftgas-Angriff zu weiteren Bombardements in der von Rebellen gehalteten Stadt gekommen sei. Ein medizinischer Versorgungspunkt sei getroffen worden.
Die Nachrichtenagentur AFP berichtet, bei dem getroffenen Gebäude handle es sich um das Spital der Stadt, in dem die Giftgasopfer behandelt worden seien.
Es ist unklar, ob der Angriff von syrischen oder russischen Kampfjets geflogen wurde. Aktivisten machten Syriens Luftwaffe für den Angriff verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück. Ein syrischer General, der ungenannt bleiben wollte, erklärte, die syrische Armee habe in Chan Scheichun kein Giftgas eingesetzt. Entsprechende Berichte seien falsch.
Alles Lügen, sagt der Arzt Shajul Islam. Er versorgt im Moment die Überlebenden des Anschlags vor Ort und ist sich sicher, dass das extrem tödliche Nervengift Sarin eingesetzt wurde. Über Twitter klagt er die Verantwortlichen an. «Es kommen immer mehr Sarin-Opfer. Viele Kinder sind unter den Opfern. Der blanke Horror!»
Die Tweets von Dr. Shajul werden immer verzweifelter: «Zweifelt ihr immer noch daran, dass Sarin gegen uns eingesetzt worden ist?», fragt der Arzt und zeigt ein Video eines Kindes mit nicht mehr reagierenden Pupillen. «Wir haben Beweise, Wer kümmert sich darum? Wer wird das stoppen?»
Ausserdem wird der Einsatz des tödlichen Chlor-Gas vermutet.
UNO soll ermitteln
Syriens Opposition rief den UNO-Sicherheitsrat zu einer sofortigen Sitzung und Ermittlungen auf. Die in Istanbul ansässige Syrische Nationale Koalition forderte Massnahmen, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden.
Die Provinz Idlib wird zu grossen Teilen von einem Rebellenbündnis kontrolliert, das vom ehemaligen Al-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front angeführt wird. Die Gruppe trägt mittlerweile den Namen Fatah al-Scham.
Im Syrien-Konflikt haben sowohl die Regierung als auch die Terrormiliz (IS) bereits Giftgas eingesetzt, wie eine Untersuchungskommission der UNO in einem Bericht festhielt. Neue Sanktionen gegen Damaskus wegen des Einsatzes von Giftgas scheiterten Ende Februar im UNO-Sicherheitsrat am Veto Russlands und Chinas.
Ein Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates sprach von mindestens fünf Chlorgas-Angriffen regierungstreuer Kräfte seit Anfang dieses Jahres.
Bereits 2013 waren östlich der Hauptstadt Damaskus bei Angriffen mit Giftgas rund 1400 Menschen getötet worden. Die Opposition und der Westen machten dafür Syriens Regierung verantwortlich. Diese stimmte danach zu, alle Giftgasvorräte zu vernichten. Chlor fiel jedoch nicht unter das Verbot, weil es für zivile Zwecken benötigt wird. (SDA)