Sie umkreist die Erde, ist 20 Tonnen schwer – und wird irgendwann am Wochenende oder am Montag auf die Erde stürzen: Die Hauptraketenstufe der Rakete vom Typ «Langer Marsch 5B». Wo, ist unklar, wann genau, ist ebenfalls nicht klar. Das bedeutet: Irgendwo werden Trümmer einschlagen, im besten Fall im Meer – im schlechtesten Fall auf eine Stadt.
Der Astrophysiker Jonathan McDowell warnte, dass es «im schlimmsten Fall» wie der Absturz eines kleinen Flugzeugs werden könne, der sich über Hunderte Kilometer verteile. Wie viele Bruchstücke übrigblieben, lasse sich nicht vorhersagen. «Aber genug, um Schaden anzurichten.» Auch der Raumfahrtexperte Andrew Jones warnte vor Schaden für Mensch oder Eigentum.
Rakete wird an «willkürlichem Ort» abstürzen
McDowell kritisierte das Design der neuen chinesischen Rakete als «fahrlässig». Er sagte, Peking habe sich beim Design der neuen Rakete keine Mühe gegeben, das Schrottproblem zu verhindern. Dies entspreche nicht heutigen Standards. Andere Länder sorgten dafür, dass der Hauptteil ihrer Raketen nicht im Orbit bleibe, sondern in eine Flugbahn gebracht werde, um gezielt ins Meer zu stürzen.
Das Problem: Für ein solches Manöver braucht es Treibstoff – der natürlich die Nutzlast verringert. Die «Langer Marsch 5B» ist hingegen so gebaut, dass sie durch die Anziehungskraft an einem «willkürlichen Ort» in die Atmosphäre der Erde eintritt.
China weist Warnungen zurück
Chinas Staatsmedien haben die Warnungen vor herabfallenden Trümmerteilen aber zurückgewiesen. Die Bruchstücke dürften «sehr wahrscheinlich in internationale Gewässer fallen, und die Leute müssen sich keine Sorgen machen», schrieb die häufig als englischsprachiges Propagandaorgan dienende Zeitung «Global Times».
Westliche Raumfahrtexperten hatten vor möglichen Trümmerteilen durch einen «unkontrollierten» Wiedereintritt gewarnt. Auch das Pentagon beobachtet den Absturz der Rakete mit Sorge. Diese sinke derzeit «fast intakt nach unten» und werde voraussichtlich ungefähr am Samstag wieder in die Atmosphäre eintreten, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby.
Südeuropa gehört zum Risikogebiet
Das Risikogebiet umfasst demnach jeden Teil der Erdoberfläche zwischen dem 41. Grad nördlicher und dem 41. Grad südlicher Breite. In Europa zählen unter anderem Teile von Spanien, Italien oder Griechenland dazu. Die neue, besonders tragfähige Rakete vom Typ «Langer Marsch 5B» hatte am vergangenen Donnerstag das Kernmodul «Tianhe» (Himmlische Harmonie) ins All gebracht. Damit hat die junge Raumfahrtnation mit dem Bau ihrer eigenen Raumstation begonnen.
Dass Reste von Raketen zur Erde zurückfielen, sei «in der Luft- und Raumfahrt üblich», schrieb die «Global Times». Das Blatt sah hinter den Warnungen «nichts anderes als westlichen Rummel» um eine «Bedrohung durch China» in der Raumfahrt. Der Experte Wang Ya'nan, Chefredakteur eines Luft- und Raumfahrtmagazins, wurde zitiert, dass Chinas Raumfahrtbehörden die Entwicklung herabfallender Trümmer vom Design der Rakete und der Wahl des Startplatzes bis hin zur Flugbahn und -höhe sorgfältig berücksichtigt hätten.
Landung im Meer wahrscheinlich
«Die meisten Trümmer werden beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verbrennen, so dass nur ein sehr kleiner Teil übrig bleibt, der auf die Erde fällt, was potenziell in Gebieten weit weg von menschlichen Aktivitäten oder im Ozean landen wird», sagte Wang Ya'nan demnach. Experten erklärten laut «Global Times» auch, dass die Raketenstufe vor allem aus leichtem Material gebaut sei, das zumeist beim Wiedereintritt einfach verbrenne.
Hingegen hatte das Esa-Büro für Raumfahrtrückstände mitgeteilt, es sei aktuell praktisch unmöglich, Vorhersagen darüber zu treffen, welche Teile den Wiedereintritt überstehen werden. Materialien mit hohen Schmelztemperaturen wie etwa Motor- oder Tankkonstruktionen stellten ein besonderes Risiko dar. Allgemein verglühten die meisten Objekte beim Wiedereintritt aber vollständig, so die Experten. Da ein Grossteil der Erde mit Wasser bedeckt sei und weite Teile unbewohnt seien, sei die Gefahr für den Einzelnen deutlich geringer als bei alltäglichen Risiken wie etwa dem Autofahren.
Chinesische Trümmer auf Elfenbeinküste
Nach dem ersten Flug des neuen Raketentyps im Mai 2020 waren Trümmer in der westafrikanischen Elfenbeinküste niedergegangen und hatten nach lokalen Berichten Häuser beschädigt. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hatte den Vorgang damals als «sehr gefährlich» beschrieben, weil die Raketenstufe kurz davor noch über die USA geflogen war.
Dass Teile von Raketen zurück auf die Erde fallen, ist in der Raumfahrt tatsächlich üblich. Meistens verglühen die Komponenten dabei beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. Zudem werden ausgebrannte Raketenstufen wenn möglich gezielt zum Absturz gebracht. Im März sorgten Überreste einer SpaceX-Rakete in den USA für Aufsehen. Diese war nicht wie geplant zurückgekehrt und nicht ganz verglüht. Einer der Tanks landete nur 15 Meter von einem Wohnwagen entfernt im US-Bundesstaat Washington.
Jahrzehntelang haben die USA, die frühere Sowjetunion oder das heutige Russland, Europa, Japan und andere den Weltraum vollgemüllt. Im Orbit kreisen immer noch Hunderte ausgebrannter Raketenstufen. Sie alle werden früher oder später zur Erde stürzen. Jedes Jahr verglühen rund 150 Tonnen Weltraummüll bei unkontrollierten Wiedereintritten. (SDA/noo)