Während Berlin einen landesweiten Lockdown erwägt, wähnt man sich im sächsischen Städtchen Augustusburg wie in einem Gallischen Dorf – wie im fiktiven Dorf der Unbeugsamen, dem Heimatort des Comic-Helden Asterix. Menschen in Augustusburg sehen sich keinesfalls als Corona-Rebellen oder -Aufwiegler. Doch in Augustusburg ist dank einem Modellprojekt alles offen, während im Rest des Landes strikte Einschränkungen herrschen.
Der gut 700 Jahre alte Ort warb schon vor der Pandemie mit dem Slogan «Stadt mit Weitsicht». Ganz nach diesem Slogan hat Augustusburg am 1. April ein landesweit einmaliges Modellprojekt begonnen: Der Ort nahe Chemnnitz probt keinesfalls den Aufstand gegen Corona-Massnahmen, sondern die Öffnung von Hotels, Restaurants und Museen unter Pandemiebedingungen. Negativ auf Corona getestete Besucher können hier Ferien machen, Essen gehen oder das Schloss mit seinen Museen besuchen. Das Interesse ist gross. Über die Osterfeiertage waren die beiden Hotels der Stadt ausgebucht. Die Zahl der Besucher seit Beginn des Projekts hat die 7000er-Marke überstiegen.
Mit dem Projekt «Neustart» wolle die 4500 Einwohner zählende Gemeinde «ein Stück Normalität im Lockdown schaffen», sagte Bürgermeister Dirk Neubauer der «Berliner Zeitung». Man wolle «den Menschen die Angst nehmen, dass unser Leben nie wieder so wird, wie es mal war». Er mache sich grosse Sorgen: «Bei vielen Menschen hat sich die Angst sehr tief in Knochen und Seelen eingefressen. Wer sagt uns denn, dass die einst funktionierende Stadtgesellschaft wiederkommt, dass die Vereine wieder zum Leben erweckt werden können nach der Pandemie? Dass wir unsere Demokratie bewahren können?»
Abends in der Kneipe ein Bier trinken: «Weltklasse»
Der Bürgermeister will wissenschaftlich belegen, dass Öffnungen auch in Pandemiezeiten möglich sind. Der Schlüssel liege beim täglichen Testen, ist Neubauer überzeugt. Ein digitales Tracking-System erfasst die Daten von Feriengästen, die täglich einen Corona-Test absolvieren müssen. Die Besucher zeigen dort ihren QR-Code, den sie bei der Anmeldung zum Besuch der Stadt per E-Mail erhalten haben. In einer Tüte mit dem identischen QR-Code befindet sich ein Teststäbchen. Innert 15 Minuten liegt das Testergebnis im E-Mail-Postfach.
Ist der Test negativ, darf man seine Ferien beginnen. Beim Betreten der Hotels, Restaurants und Museen wird der Code gescannt. Fällt der Test hingegen positiv aus, müssen sich die Betroffenen beim Gesundheitsamt melden und einen PCR-Test machen. Der QR-Code wird gesperrt.
Bislang habe es bloss rund ein Dutzend positive Tests gegeben, so Bürgermeister Neubauer, der von einem erfolgreichen Modellversuch spricht, wie sie auch in Schleswig-Holstein und im Saarland durchgeführt werden. Doch jetzt droht die Notbremse auf Bundesebene. «Wenn man nur auf die Zahlen schaut, müssten wir hier alles dichtmachen», sagt Neubauer. 15 Infizierte auf 4500 Einwohner – das entspreche einer Inzidenz von über 300. Es gehe ja immer nur nach Zahlen, dabei mache Augustusburg den Menschen wieder Mut, um ihnen zu zeigen, dass es Lösungen und Perspektiven gibt: «Ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser Zeit – das wäre ja auch schon mal was.» Auch abends in der Kneipe mal wieder ein Bier trinken: «Weltklasse», sagt Neubauer. «Einfach nur schön.» (kes)