Star-Virologe soll laut «Bild» eigene Zahlen falsch verstanden haben
Streit um Drostens Corona-Studie über Kinder eskaliert

War Christian Drostens Corona-Studie über Kinder falsch? Der deutsche Star-Virologe wird in einem «Bild»-Artikel von mehreren Wissenschaftlern kritisiert. Doch einige springen ihm kurz nach Publikation auch wieder zur Seite.
Publiziert: 26.05.2020 um 02:26 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2020 um 11:48 Uhr
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Der deutsche Star-Virologe Christian Drosten wird heftig kritisert.

Eine der grossen Frage in der Corona-Pandemie handelt um die Kleinen in unserer Gesellschaft: Ist das Risiko bei Kindern kleiner, dass sie das neuartige Coronavirus weitergeben und Menschen in ihrem Umfeld anstecken? Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) geht davon aus und hat unter anderem auch deshalb am 11. Mai wieder die Schulen geöffnet.

Während viele Wissenschaftler aus aller Welt diese Meinung vertreten, hält der deutsche Star-Virologe Christian Drosten (48) seit geraumer Zeit dagegen. Ende April veröffentlichte er das Resultat einer Studie, die er im Eilzugstempo mit über 3700 Infizierten durchgeführt hatte. Drosten testete dabei die Viruslast von Kindern und Erwachsenen und kam zum Schluss, dass es «keinen signifikanten Unterschied» gebe. Bedeutet: Nach Ansicht des Deutschen könnten Kinder das Virus genauso übertragen wie Erwachsene, mit dem Unterschied, dass die Symptome bei Kindern weniger ausgeprägt oder gar nicht vorhanden sind. Christian Drosten warnte deshalb auch davor, Kindergarten oder gar Schulen wieder zu öffnen.

Doch jetzt, knapp einen Monat später, werden die Erkenntnisse des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, das Drosten leitet, neu angezweifelt. Die deutsche Boulevardzeitung «Bild» veröffentlichte am Montagabend einen Artikel, der die entsprechende Corona-Studie als falsch entlarven soll. «Star-Virologe Christian Drosten lag mit seiner wichtigsten Corona-Studie komplett daneben», heisst es.

Die Geschichte wird in den sozialen Medien heiss diskutiert und lässt den Streit zwischen Drosten und «Bild» eskalieren. Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass der Virologe in der deutschen Boulevardpresse hart kritisiert wird.

«Bild» zitiert Forscher, die Drostens Studie kritisieren

Die Zeitung beruft sich einerseits auf Informationen, dass Drostens Corona-Studie auch intern kritisiert werde. Man habe im Institut für Virologie an der Berliner Charité bereits Fehler eingestanden, heisst es. Andererseits zitiert die «Bild» drei Wissenschaftler, die die Erkenntnisse widerlegen sollen. Darunter ist auch ein Schweizer.

Professor Leonhard Held vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich kritisiert in einer Untersuchung die Aussagekraft der Drosten-Studie: «Die Erkenntnisse müssen mit einiger Vorsicht interpretiert werden.» Der zentrale Schwachpunkt sei die geringe Anzahl der untersuchten Kinder. Die Studie «leidet unter einer kleinen Stichprobengrösse von Kindern und Jugendlichen», sagt Held.

Auch Dominik Liebl, Statistik-Professor von der Universität Bonn, wird im Artikel zitiert. Er weist in einer Untersuchung auf Ungereimtheiten in der Drosten-Studie hin: «Die mittlere Viruslast der Altersgruppe Kindergarten ist um 86 Prozent niedriger als die mittlere Viruslast der Altersgruppe der Älteren.» Die statistische Analyse der Autoren widerspreche demnach ihrer zentralen Schlussfolgerung, so Liebl. Das würde bedeuten: Christian Drosten und seine Kollegen hätten ihre eigenen Zahlen falsch verstanden.

Wissenschaftler springen Drosten zur Seite

Der deutsche Star-Virologe äusserte sich bereits vor der Publikation des Artikels auf Twitter. Er veröffentlichte ein E-Mail, das eine Anfrage eines «Bild»-Journalisten zeigt, der um eine Stellungnahme innerhalb von einer Stunde bittet. Drosten meint dazu: «Ich habe Besseres zu tun.» In einem weiteren Tweet unterstrich er seine Erkenntnisse vor einem Monat: «Wir haben damals viele gute Anregungen bekommen und inzwischen eingearbeitet. Unsere Schlussfolgerungen werden dadurch sogar noch härter.»

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Nun aber springen die Berufskollegen Drosten zur Seite – und üben scharfen Kritik an der Berichterstattung der «Bild». So distanzierte sich Statistik-Professor Dominik Liebl in einem Tweet von der Berichterstattung: «Ich wusste nichts von der Anfrage der ‹Bild› und distanziere mich von dieser Art, Menschen unter Druck zu setzen, aufs schärfste. Wir können uns mehr glücklich schätzen Christian Drosten und sein Team im Wissenschaftsstandort Deutschland zu haben. Sie haben Leben gerettet!»

Auch der Schweizer Leonhard Held distanziert sich vom «Ansatz» des Artikels. «Ich wurde nie von der ‹Bild› interviewt», schreibt er auf Twitter. Die Schlussfolgerungen seiner eigenen Analyse zur Studie werde er aber aber nicht zurückziehen.

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«Ich will nicht Teil einer Bild-Kampagne sein»

Ebenso Jörg Stoye, Wirtschaftswissenschaftler an der Cornell University in New York,. Im «Bild».Artikel geht er hart mit der Drosten-Studie ins Gericht. In einem Interview mit dem «Spiegel» versichert er, die «Bild» habe niemals Kontakt mit ihm aufgenommen: «Das ganze ist mir sehr unangenehm. Ich will nicht Teil einer Bild-Kampagne sein.»

Die Zitate aus dem Artikel stammen aus einem wissenschaftlichen Aufsatz, den Stoye auf englisch verfasst hat. Die Zitate seien teils falsch übersetzt, sagt er im Interview. So unterstellt er rosten und seinem Team laut der «Bild», die Ergebnisse der Studie manipuliert zu haben. Stoye stellt nun klar: «Ich unterstelle Professor Drosten und seinen Mitautoren keine Intention, schon gar keine bewusste Irreführung.»

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Auffällig aber bei der Solidaritätswelle für Drosten: Keiner der Wissenschaftler hat bislang seine Kritik an der Studie zurückgezogen. (nim/hah)


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