Sozialdienste, Psychologen, Kinderschutz steckten unter einer Decke
Kinderhändler-Ring schockt Italien

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 29 Personen. Sie sollen Eltern Kinder weggenommen haben, um sie befreundeten Paaren zuzustecken und dabei abzukassieren.
Publiziert: 25.07.2019 um 18:47 Uhr
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Aktualisiert: 26.07.2019 um 07:43 Uhr
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Kleine Mädchen und Jungen wurden in den Psychotherapien der Kinderheime gezwungen, gegen ihre Eltern auszusagen.
Foto: picture alliance / Photoshot
Myrte Müller

Engel und Teufel. So nennen die Carabinieri von Reggio Emilia das Ermittlungsverfahren gegen einen Kinderhandel-Ring, der zur Zeit ganz Italien schockt. Gegen 29 Personen wird ermittelt. 17 wurden festgenommen und stehen unter Hausarrest. Allesamt ehrenwerte Bürger im Dienste des Kindeswohls.

Über Jahre sollen Sozialdienste, Psychotherapeuten und Mitarbeiter des Kinderschutzes in Bibbiano (I) und Umgebung italienischen Eltern, die in wirtschaftliche Not gerieten, ihre meist kleinen Kinder weggenommen haben. Sie wurden an zahlende Adoptiv- und Pflegeeltern verschachert. 

In den Heimen hätten die Kinder regelrechte Gehirnwäschen erhalten, berichten italienische Medien. In sogenannten therapeutischen Sitzungen wurde ihnen Misshandlungen und Missbrauch suggeriert, die ihre Eltern nie begangen hatten. Die hinterhältigen Befragungen wurden von den Ermittlern heimlich belauscht. 

Harmlose Kinderzeichnungen manipuliert

Psychologen kritzelten in harmlose Kinderzeichnungen hinein, so dass darin sexuelle Übergriffe «erkannt» werden konnten. Die Kinder erhielten weder die Briefe, noch die Weihnachtsgeschenke ihrer Eltern. Sie sollten entfremdet werden. Stattdessen schlüpften Psychologen in Grusel-Kostüme, spielten die Eltern ihrer kleinen Opfer und impften ihnen ein, dass Mama und Papa grundschlecht seien. Zu diesem Zweck wurde auch mit leichten Elektroschocks gearbeitet. 

Die getürkten Therapie-Ergebnisse dienten als Grund dafür, die Kinder zu Pflegeeltern zu geben, die für ihren neuen Nachwuchs zahlten – und dann für diese Pflege selbst vom Staat grosszügig entlohnt wurden.

Zu den ausgesuchten Pflegeeltern zählten vor allem Freunde und Bekannte der leitenden Angestellten der Sozialdienste. So sorgte Federica A.* vom Sozialdienst in Val d'Enza dafür, dass ein befreundetes lesbische Paar zu einem Kind kam. 

Therapeuten und Anwälte kassierten Wucher-Honorare

Psychotherapeuten, die zum Ring zählten, wie Claudio F.* und seine Lebensgefährtin Nadia B.*, durften die Therapien zu erhöhten Preisen (bis zu 143 Franken die Stunde) durchführen. Auch Anwälte, die die Kinder juristisch vertreten sollten, mischten im System mit und kassierten hohe Honorare. Sogar gegen drei Bürgermeister wird ermittelt. Sie hätten vom miesen Handel gewusst und nichts unternommen. 

Die Verhaftungen führten zu Protesten in der italienischen Bevölkerung. Vor allem in Bibbiano gingen die Menschen auf die Strasse. Musik-Stars wie Laura Pausini und Nek posteten ihre Empörung im Netz. Und das Gericht entschied bereits, dass die ersten vier Kinder zu ihren Familien zurück dürfen. 

Staatsanwalt ermittelt in 70 Fällen

Innenminister und Vize-Premier Matteo Salvini (46) nutzt den Skandal auch gleich politisch. Er reiste in den 10'000-Seelen-Ort Bibbiano und forderte harte Strafen und fragt in aller Öffentlichkeit: «Warum werden nicht die Zigeunerkinder ihren Eltern weggenommen?»

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Vergehen an Minderjährigen, Körperverletzung und Misshandlungen, wegen Verletzung der Normen für Pflegschaften, wegen Amtsmissbrauch und Prozessbetrug. Bislang geht es um sieben Kinder. Doch das ist erst der Anfang. Die Ermittler untersuchen zurzeit 70 weitere Fälle.

*Name der Redaktion bekannt

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