Die Brasilianerin Luzia Amaral (64) ist pensionierte Lehrerin, hat nichts gegen Homosexuelle und ist für strenge Waffengesetze. Dennoch wird sie am Sonntag ihr Kreuz bei einem Präsidentschaftskandidaten machen, der gegen ihre Überzeugungen ist: bei Rechtspopulist und Frauenfeind Jair Bolsonaro (63).
Sexistische Äusserungen und homophobe Aussagen brachten dem Rechtsaussen-Kandidaten Bolsonaro den Ruf als «Brasiliens Trump» ein. In einem Interview sagte er laut «Spiegel Online» einmal, er habe «geschwächelt», als er nach vier Söhnen auch eine Tochter gezeugt habe. Einer Abgeordneten rief er zu, sie verdiene es noch nicht einmal, von ihm vergewaltigt zu werden. Zudem befürwortet er auch die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern für die gleiche Arbeit.
«Der nicht!» rufen die Demonstranten
Auf den Strassen Brasiliens und in den sozialen Medien mehrt sich darum der Protest gegen Bolsonaro. «Ele Não» (deutsch: Der nicht!) riefen am letzten Septemberwochenende Zehntausende, vor allem weibliche Demonstranten auf den Strassen von Rio de Janeiro, São Paulo und zig anderen brasilianischen Städten. Statt bei seinem Namen nennen sie ihn nur «O coiso» (Das Dingsda), um nicht indirekt Werbung für ihn zu machen.
Doch wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien kann Jair Bolsonaro trotz sexistischer Äusserungen auch immer mehr auf die Stimmen von Frauen zählen. Umfragen zufolge ist allein in der vergangenen Woche die Zustimmung für ihn bei den weiblichen Wählern um sechs Punkte gestiegen.
«Um ehrlich zu sein, meine Stimme ist eine Protestwahl», sagt die ehemalige Lehrerin Luzia Amaral. Es sei die einzige Möglichkeit, um die Arbeiterpartei von Ex-Präsident Lula da Silva nicht wieder an die Macht kommen zu lassen.
Umfragen sehen ihn als Favoriten
Auch insgesamt legt Bolsonaro in der Gunst der Wähler stetig zu. Sollte der Trend anhalten, könnten gerade die Frauen, die eigentlich gegen ihn seien, ihm zur Präsidentschaft und möglicherweise sogar zu einem Sieg in der ersten Wahlrunde verhelfen, sagen Meinungsforscher und Analysten. Seit 1998 hat es kein Kandidat mehr geschafft, ohne Stichwahl auszukommen.
Die Frauen, die gegen Jair Bolsonaro demonstrierten, seien falsch informiert, sagt die 55-jährige Anwältin Luzinette Silva, die sich erst kürzlich für den ehemaligen Fallschirmjäger und Abgeordneten entschieden hat. «Ich glaube nicht, dass diese Frauen gebildet sind. Sie schauen sich seine Vorschläge nicht an und analysieren auch nicht, was im Land passiert.»
Bolsonaros Programm bleibt jedoch unkonkret. In seinen 27 Jahren als Abgeordneter präsentierte er nur zwei Vorschläge, die es in die Gesetzesbücher schafften – einen für Steuervorteile für die IT-Industrie, einen anderen für den Einsatz experimenteller Krebsmedikamente. Im Wahlkampf glänzt er weniger mit wirtschaftspolitischen Konzepten, stattdessen hetzt der Kongressabgeordnete gegen Frauen, Homosexuelle, Schwarze und die Ureinwohner des Landes.
Die Wirtschaft stellt sich auf einen Sieg ein
Ob Bolsonaro Brasilien mit seinen über 200 Millionen Einwohnern wieder auf Kurs bringen könnte, ist ungewiss. Doch auch die Wirtschaft scheint sich inzwischen auf seinen Sieg einzustellen. Investoren preisten eine Entscheidung in der ersten Runde bereits ein, sagt Devisenstrategin Fernanda Consorte von der Bank Ourinvest.
Die Chancen des Rechtsaussen-Kandidaten dürften durch eine hohe Zahl an Nichtwählern noch steigen, sagt Leonardo Barreto, Chef der politischen Beratungsfirma Factual. Sollte der von den Meinungsforschungsinstituten ausgemachte Trend für Bolsonaro anhalten, könnte das in einen Endspurt für ihn münden und Brasiliens Frauen das bringen, was viele von ihnen fürchten: ihren ganz eigenen Trump als Staatschef. (SDA/kin)