Wer wissen will, was Vjosa Osmani antreibt, soll einfach auf ihr Twitter-Profil. Oben angeheftet: ein Video vom Mai 2020. Man sieht Osmani darin mit ihren beiden Töchtern, eineiige Zwillinge, fröhlich singen. «Meine Mädchen sind sind meine tägliche Motivation und lassen mich glauben, dass eine Mutter von Zwillingen alles schaffen kann», schreibt die 38-Jährige dazu.
Und zwar wirklich alles! Ein knappes Jahr später steht Vjosa Osmani nämlich an der Spitze des Kosovo. Am Sonntag wurde sie vom Parlament in Pristina auf Vorschlag der Regierungspartei «Lëvizja Vetëvendosje!» (dt. Selbstbestimmung) des Ministerpräsidenten Albin Kurti (46) zur neuen Staatspräsidentin gewählt.
«Jetzt schlagen wir unser erstes Erfolgskapitel auf!», kündigte Osmani in ihrer Antrittsrede selbstbewusst an.
Stabschefin mit 27, Promotion in den USA
Die promovierte Juristin ist schon das zweite weibliche Staatsoberhaupt in der jungen Geschichte des Landes. Weil Ex-Staatschef Hashim Thaci (52) wegen einer Anklage des Kosovo-Sondertribunals zurücktrat, hatte Osmani das Amt übergangsweise bereits seit November inne.
Schon als Teenager engagierte sie sich für die liberalkonservative Partei LDK. Nach einem Jura-Studium in Pristina und Pittsburgh (USA) begann Osmani 2009 als Stabsschefin für den damaligen Staatspräsidenten Fatmir Sejdiu (70) zu arbeiten. Im selben Jahr begann sie auch ihre Promotion in den USA, die sie 2014 abschloss.
Doch statt eine Karriere an der Uni einzuschlagen, engagierte sie sich weiter politisch. Drei Amtszeiten absolvierte sie als Abgeordnete – zweimal davon war sie gar die Abgeordnete mit den meisten Stimmen.
Osmani hat keine Angst vor Zoff
Die Kosovarin gilt als extrem eloquent und sicher im Auftreten. «Selbst die beissendste Kritik bringt sie ruhig rüber», analysiert der Balkan-Experte Aleksandar Brezar auf Twitter.
Auch auf internationalem Parkett bewegt sie sich sicher. Dabei hilft ihr auch ihr Sprachtalent: Neben Albanisch und Englisch spricht Osmani auch Serbisch, Türkisch und Spanisch.
Mit den starken Männern in ihrer Partei ging sie auf Konfrontation. Gegen die Parteilinie lehnte Osmani Ex-Ministerpräsident Hashim Thaçi für die Rolle des Staatschefs ab. Als Thaçi dennoch 2016 zum Präsidenten gewählt wurde, sprach Osmani von einer «Sitzung der Schande». Später warf sie ihm geheime Verhandlungen mit Serbien vor.
Schweiz-Kosovaren brachten Osmani den Sieg
Trotz dem Konflikt mit ihrer eigenen Partei LDK galt Osmani im Jahr 2019 als mögliche Ministerpräsidentin, bis zum vergangenen Juni war sie stellvertretende Vorsitzende der damaligen Regierungspartei. Dann kam es zum Streit, Osmani wurde von ihrer eigenen Partei entmachtet – blieb aber Parlamentspräsidentin.
Gemeinsam mit Albin Kurti und dessen linker Reformpartei «Lëvizja Vetëvendosje!» trat sie bei den Wahlen am 14. Februar an. Auch Kosovaren aus der Schweiz machten das Polit-Duo mit 48 Prozent der Stimmen zum klaren Wahlsieger.
Nun will Osmani den Kosovo nach vorne bringen. «Wir wollen als Erstes die Korruption in den Griff bekommen und Arbeitsplätze schaffen, besonders für die junge Generation und für Frauen», sagte die als wirtschaftsliberal geltende Osmani bei einem Interview mit BLICK im März in Bern.
Osmani macht Kosovarinnen Mut
Ihr Herzensthema, die Förderung von Mädchen und Frauen, spielt bei Osmanis politischer Arbeit immer eine Rolle. Auch in ihrer Antrittsrede hatte sie eine spezielle Botschaft. «Junge Frauen sind die Einzigen, die entscheiden dürfen, was sie im Leben werden wollen.»
Sie verdienten es, ihre Wünsche und Träume zu erreichen. Die Neu-Staatschefin appellierte an die jungen Kosovarinnen: «Also haltet euch nie zurück, diese Dinge zu tun! Alles ist möglich.» Eine Botschaft, die sicher auch ihren beiden Mädchen mit auf den Weg geben wird.