«Diese Wahlnacht war denkwürdig»
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BLICK-Reporter in Washington:«Diese Wahlnacht war denkwürdig»

So erlebte unser US-Reporter die Midterms
Doch keine politische Revolution

Bei den Halbzeitwahlen in den USA ging es für Demokraten und Republikaner um viel. Die über Monate angestaute Anspannung im Land entlud sich kurz vor Mitternacht.
Publiziert: 07.11.2018 um 16:03 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2018 um 22:58 Uhr
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Geschafft: Der republikanische Senator Ted Cruz verteidigt seinen Sitz in Texas.
Foto: Keystone
Nicola Imfeld, Washington D.C.

Washington D.C., Campus der «American University», kurz vor Mitternacht: Studenten, Professoren und Journalisten blicken gebannt auf die grosse Leinwand. Dann erscheint eine Grafik. «Nooo!» entfährt es der grossen Mehrheit der Studierenden im Saal. Nur vereinzelt Jubel und Applaus.

Soeben ist das definitive Resultat vom Senatsrennen im Bundesstaat Texas über die Leinwand geflimmert. Dort heisst es: Beto O'Rourke 48 Prozent, Ted Cruz 51 Prozent. Ex-Präsidentschaftskandidat Cruz bleibt Senator für Texas.

Für Demokraten ein Schockergebnis. Ihr grosser Hoffnungsträger O'Rourke galt durch seine authentische, energische Art als der neue «weisse Obama». Doch die politische Revolution im konservativen Staat hat er verpasst. 

Wahlkampf – fünf Monate vor dem Showdown

Das Resultat aus Texas war der Höhepunkt des Wahlabends. Nach zwei Jahren unter Donald Trump war die Anspannung in den USA greifbar. Frauen, die LGBT-Community und liberale Jugendliche sprachen im Vorfeld der Midterms von den wichtigsten Halbzeitwahlen der Geschichte. Die Republikaner zitterten um ihre Mehrheit im US-Kongress. Würde Trumps Partei unter ihrem historisch unbeliebten Präsidenten abgestraft?

Dem Wahltermin am 6. November ging ein monatelanger Wahlkampf voraus. Ein Rückblick:

San Diego, Anfang Juni: Noch sind die Halbzeitwahlen fünf Monate entfernt. Rund 500 Frauen stehen auf dem zentralen Marktplatz der kalifornischen Metropole. Sie verteilen Flyer für die Demokraten, halten Schilder in die Höhe und rütteln die ansonsten gemächliche Stadt mit Megafonen wach. «Vote blue for change» – wählt blau für den Wechsel, so ihre Aufforderung. 

Los Angeles, Ende Juni: Zu Tausenden marschieren Trump-Gegner durch die Strassen. Ihr verhasster Präsident steht zu diesem Zeitpunkt einmal mehr in der Kritik. Seine «Null Toleranz»-Politik gegen illegale Einwanderer an der Grenze zu Mexiko, als er Hunderte Flüchtlingskinder von ihren Familien trennte, sorgte für einen Aufschrei im ganzen Land. Und wieder skandiert die Menge einen populären Wahlkampfslogan der Demokraten: «blue wave» – blaue Welle. 

Republikaner lange unsichtbar

Anders als die Demokraten waren die republikanischen Anhänger, mit Ausnahme der eingefleischten Trump-Supporter, beinahe unsichtbar. Im konservativen Orange County oder im Osten von San Jose – republikanisches Territorium – waren die Halbzeitwahlen im Sommer noch weit weg. Keine Schilder und schon gar kein Wahlkampf. Erst als sich in Washington die Ernennung von Richterkandidat Brett Kavanaugh zu einer Schlammschlacht entwickelte und Trump die Migrationskarte ausspielte, indem er einmal mehr die Angst vor illegaler Einwanderung schürte, schienen die Republikaner aus ihrem Sommerschlaf zu erwachen. 

San Diego, in der Nacht von Halloween: Inmitten einer spontanen Kostümparty im Ausgehviertel stechen unverkleidete Männer mit Schildern und US-Fahnen hervor: «Sichert die Grenzen», «Stoppt die Karawane», «Unterstützt Trump». Sie sind aufgewacht – gerade noch rechtzeitig. 

«Ich komme heute eine halbe Stunde später zur Arbeit»

In Washington D.C. ist die Ausgangslage anders. Hier in der Hauptstadt kommt man an Politik nicht vorbei. «Jeden Tag verfolgen uns die Meldungen zu Trump», sagt David Nelson, der in einem Elektronikgeschäft arbeitet. Beim Kapitol, dem Sitz des Kongresses, kommt es auch 21 Monate nach Trumps Amtseinführung beinahe täglich zu Protesten. «Die ruhigen Zeiten sind vorbei», sagt der Schweizer Robert Pantzer, der mehrere Präsidenten in Washington erlebte. 

Und weil man in der Hauptstadt nicht an Politik vorbeikommt, wird hier der Gang zum Wahllokal als Selbstverständlichkeit betrachtet. Am Wahlmorgen bildeten sich lange Schlangen, trotz heftigem Regen. «Ich habe meinen Chef angerufen und ihm gesagt, ich komme heute eine halbe Stunde später», sagt ein Mann, der mitten drin steht. «Ich stimme heute ab!» 

Midterms 2018 werden zum Kompromiss

Abgestimmt haben auch die Studierenden, die am Dienstagabend bei der Wahlparty der «American University» waren. «Es war richtig aufregend. Ich habe so etwas noch nie erlebt», sagt Student Daniel Lohmann. Auch normalerweise «unpolitische» Klassenkameraden hätten sich für die Midterms interessiert und abgestimmt.

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Seine Aussagen lassen sich durch Zahlen belegen: War 2014 die Wahlbeteiligung unter den 18 bis 29-Jährigen noch auf einem 70-Jahres-Tief, haben allein im Bundesstaat Arizona über 600 Prozent mehr junge Erwachsene einen Stimmzettel ausgefüllt.

Als das Resultat aus Texas feststeht, wenden sich die meisten der anwesenden Studierenden von der Leinwand ab. Die Spannung im Saal ist wie weggeblasen. Von da an ist klar: Die Demokraten erlangen eine Mehrheit im Repräsentantenhaus, der Senat bleibt in republikanischer Hand.

Die heraufbeschworene blaue Welle bleibt aus – und trotzdem scheinen am Ende irgendwie alle zufrieden. Die Midterms 2018: eine Kompromisslösung. Eine Einstellung, die sich die frisch gewählten Abgeordneten und Senatoren samt Präsident als Vorbild nehmen können.

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