Skandal um Aktfoto
Ein Bild und seine Geschichte

Im Namen des Kinderschutzes wurde in London ein Foto von Brooke Shields (44) aus einer Ausstellung entfernt. Wann ist ein Bild Kunst, wann Pornografie?
Publiziert: 04.10.2009 um 13:32 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:36 Uhr
Von Johannes von DohnÁnyi

An der Wand eine schwere rote Samtbahn, darauf ein güldener Rahmen. In diesem, auf einem übergrossen weissen Passepartout, das Foto eines Mädchens. Nackt steht sie in der Badewanne, der tropfnasse Körper jener einer unschuldigen Zehnjährigen, das Gesicht geschminkt wie jenes einer erwachsenen Frau. Lasziv lächelt das Nymphchen aus grossen Augen in die Kamera: Lolita pur, als sei sie direkt der Fantasie des Romanciers Vladimir Nabokov entsprungen.

«Spiritual America» hat Richard Prince (59) seine Installation genannt – eine bitterböse Kritik des US-Künstlers an der Kommerzialisierung auch des Intimsten zur Realisierung des amerikanischen Traums. Ausgestellt werden sollte das Werk im Rahmen der Ausstellung «Pop Art» im weltberühmten Tate Modern Museum in London.

… sollte. Denn am Donnerstag tauchten Beamte der Moralabteilung von Scotland Yard im Museum auf. Sie untersuchten, ob «Spiritual America» gegen das Pornografiegesetz Ihrer Majestät verstösst. Dieser Auftritt reichte: Tate Modern nahm die Installation von der Wand und zog den Ausstellungskatalog zurück.

Dabei trifft der Titel des Werks die Geschichte des Fotos haargenau. Das nackte Mädchen ist die Schauspielerin Brooke Shields. Ihre eigene Mutter hatte sie 1977 in der aufreizenden Pose für das Männermagazin «Playboy» fotografieren lassen. 450 Dollar Honorar bekam der Fotograf. Für Brooke war das Bild die Millionen-Dollar-Fahrkarte nach Hollywood. Vier Jahre später zog sie sich im Soft-Erotik-Film «Blue Lagoon» aus. Es war diese Heuchelei im puritanischen Amerika, die dann den Künstler Prince zu seinem Werk inspirierte.

Von den erotischen Fresken in Pompei über Michelangelos Bild «Leda und der Schwan» bis hin zu Jeff Koons gehörte die Sexualität immer zu den wichtigsten Sujets der Künstler. «Im Gegensatz zur Kunst hat die Pornografie ein direktes Ziel», erklärt die Expertin Beatrix Ruf.

Die Direktorin der Kunsthalle Zürich ist auch die Kuratorin der Sammlung von SonntagsBlick-Verleger Michael Ringier (60). Während der Art Basel 2004 empfahl sie ihm den Erwerb dieses kunsthistorisch wichtigen Werks. Sie steht fest zu ihrer Entscheidung: «‹Spiritual America› muss als Kritik an der gesellschaftlichen Doppelmoral und ihrer Vermarktung durch Bilder verstanden werden.»

Kunstsammler Ringier ist über die Entscheidung des Museums empört: «Die angelsächsische Gesellschaft ist heuchlerisch. Die Entferung der Installation ist ein Witz. Ein Museum muss so etwas zeigen können.»

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