Erst noch war er wegen seines umstrittenen Auftritts am Arosa Humor-Festival in den Schlagzeilen, jetzt macht Serdar Somuncu (47) erneut von sich reden. Seit Tagen werde er mit Hass-Mails überschüttet, so der deutsch-türkische Kabarettist. Somuncu hatte am vergangenen Sonntag bei «Anne Will» das Vorgehen von Angela Merkel im Fall Böhmermann kritisiert und sich leidenschaftlich für die Satire-Freiheit eingesetzt – sehr zum Missfallen der in Deutschland lebenden Türken, wie sich nur herausstellt.
Unterdrückte Türken
Diese «frische Wut» seit der Böhmermann-Affäre habe ihn selbst überrascht, schreibt Somuncu in einem «Spiegel»-Gastbeitrag. Ihm werde von den Türken vorgeworfen, Jan Böhmermanns Schmähgedicht in Schutz genommen und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angegriffen zu haben.
«Offensichtlich geht es hier vor allem um die Ehre der in Deutschland lebenden Türken», schreibt er. Sie fühlten sich schon lange von deutscher Überheblichkeit unterdrückt. Die Brandanschläge in den 90er-Jahren und die schleppende Aufklärung der NSU-Morde hätten zusätzlich dazu beigetragen, dass sich die Türken in Deutschland weiter separieren. «Deutsche und Türken können niemals Freunde werden, sie sind Stiefgeschwister.»
Erdogan als Heilsbringer
So kritisch Europa Erdogan aus sehen mag, für viele Türken – auch in Deutschland – stehe der türkische Präsident als Heilsbringer einer neuen und selbstbewussten türkischen Nation, die sich nicht mehr alles bieten lassen will. «Die Türkei steht nicht mehr an der Schwelle zur Dritten Welt, sondern zu Europa. Balsam auf die geschundene Seele einer chronisch gekränkten Nation», schreibt der Kabarettist.
Die Türken hätten den Eindruck, nur Erdogan würde sich um ihre Belange kümmern. Das gegenseitige Vertrauen zwischen Deutschen und Türken sei dahin, resümiert Somuncu. Die Fehler lägen aber auf beiden Seiten. «Solange etwa die Bücher von Thilo Sarrazin Bestseller bleiben, wird eine Annäherung der Deutschtürken an ihre deutsche Identität schwierig bleiben», meint er. Erst wenn die Deutschen sich damit abfinden, dass die Türken ein Teil dieser Gesellschaft sind, werde auch die Bereitschaft der Türken, sich ganz für Deutschland zu entscheiden, wachsen. (gr)