Überraschung in Australien: Der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Kardinal George Pell kommt auf freien Fuss. Das höchste australische Gericht gab am Dienstag dem Berufungsantrag des 78-jährigen ehemaligen Finanzchefs des Vatikans statt.
Die einstige Nummer Drei des Vatikans soll noch im Laufe des Tages aus der Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Melbourne entlassen werden. Aufgrund der Coronavirus-Beschränkungen wurde das Urteil in einem fast leeren Gerichtssaal in Brisbane von der Obersten Richterin Susan Kiefel gesprochen.
Das Gericht befasste sich seit März mit dem letzten möglichen Einspruch des 78-Jährigen. Bei seinem Entscheid folgte das Gericht den Argumenten der Verteidigung, die auf Schwächen in Zeugenaussagen hingewiesen hatte.
Zwei Chorknaben beschuldigen Pell
Im März 2019 war der frühere Erzbischof von Melbourne wegen des Missbrauchs von zwei Chorknaben in den 1990er Jahren zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Er weist alle Vorwürfe zurück. Der ehemalige Finanzchef des Vatikans ist der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Die Aussage eines früheren Chorknaben, der heute Mitte 30 ist, war dabei massgeblich.
Pells Verteidiger argumentierten, dass diese nicht ausreichend war, um die Schuld des Kardinals zweifelsfrei festzustellen. Noch eines der Argumente: Nach einer Sonntagsmesse sei es unmöglich gewesen, dass ein Erzbischof fünf oder sechs Minuten in der Sakristei mit zwei Chorknaben alleine war - so soll es bei einem Übergriff gewesen sein.
Bei dem anderen Fall, für den Pell verurteilt worden war, waren laut seiner Verteidigung keine Zeugen dabei. Die Anklage habe zudem die Beweislast umgedreht: Statt dass sie Pells Schuld beweist, musste die Verteidigung seine Unschuld beweisen.
Pells erster Versuch, das im März 2019 gesprochene Urteil von einem Berufungsgericht aufheben zu lassen, scheiterte im August. Demnach hätte Pell frühestens im Oktober 2022 aus der Haft entlassen werden können. Nach der Entscheidung des Berufungsgerichts legten die Anwälte des Geistlichen beim obersten Gericht Einspruch ein, so dass sich dieses nun damit befasste. (SDA)