Auf einen Blick
Unter schlimmeren Umständen hätte Joe Bidens (82) politische Karriere nicht starten können. Zwei Wochen bevor der damals gerade einmal 30 Jahre alte Demokrat sein Amt als US-Senator antrat, kamen seine Frau Neilia und seine einjährige Tochter Naomi bei einem Autounfall ums Leben. Die beiden Söhne Hunter und Beau überlebten schwer verletzt. Den Amtseid legte Biden an ihrem Spitalbett ab. Er schwor den Kindern, dass er ihnen jeden Abend vor dem Ins-Bett-Gehen vorlesen werde – komme, was wolle.
52 Jahre später ist Bidens Vaterliebe ungebrochen. Der älteste Präsident der US-Geschichte – inzwischen hat er sieben Enkel und einen Urenkel – setzt für eines seiner Kinder sein gesamtes politisches Vermächtnis aufs Spiel. Seine Bilanz als Politiker hat er sich ganz zum Schluss gehörig versalzen.
Anfang Dezember begnadigte Biden seinen Sohn Hunter und bewahrte ihn vor einer Gefängnisstrafe wegen Waffenbesitz und Steuervergehen. Biden, der Vater, war letztlich stärker als Biden, der Präsident. Der hatte stets betont, dass niemand über dem Gesetz stehen dürfe und dass er die Justiz ungestört ihren Job machen lassen werde.
Der Moment, der alles änderte
Vielleicht ist es die innere Zerrissenheit, vielleicht die Müdigkeit nach mehr als einem halben Jahrhundert in Washington D. C.: Biden wirkt jedenfalls auf den letzten Metern seines Polit-Marathons verbittert. «Ich hätte Trump geschlagen», resümierte er kürzlich mit Blick auf die Niederlage seiner Vizepräsidentin Kamala Harris (60) gegen Donald Trump. Damit beleidigt er nicht nur seine Weggefährtin im Weissen Haus, sondern unterstreicht, woran er letztlich gescheitert ist: an seiner gewaltigen Selbstüberschätzung.
Vor vier Jahren trat er an, um Trump aus dem Amt zu drängen – und schaffte es. Er sei ein «Übergangskandidat», betonte Biden damals, eine «Brücke zur nächsten Generation demokratischer Leader». Stattdessen ist er eine Brücke zurück in die Trump-Ära, die er nicht beendete, sondern die nur kurz pausiert hat.
Biden blieb zu lange im Rennen. Selbst nach seinem katastrophalen Debatten-Auftritt gegen Trump im Juni (die Amerikaner wussten nicht, ob sie Mitleid mit dem verdatterten alten Mann haben oder sich für ihn fremdschämen sollten) betonte er, «nur Gott, der Allmächtige» könne ihn aus dem Rennen drängen. Statt Platz zu machen, blieb er stur hocken. Einen Gefallen tat er damit niemandem, ausser Donald Trump. Und am Ende war es dennoch nicht Biden, der sich dem Republikaner stellte.
Begnadigte Mörder, gerettete Ukrainer
Die brutale Landung am Schluss des langen Flugs durch die amerikanische Politik lassen einen vergessen, dass Joseph Robinette Biden Junior, der Jurist aus Delaware, das Schlachtross der Demokraten im Senat, der Vize von Überflieger Barack Obama (63), zeitweise ein äusserst erfolgreicher US-Präsident war.
Covid: Mit dem «amerikanischen Rettungsplan» setzte er ein beispielloses Investitionsprogramm zur Rettung pandemiegeschädigter Firmen um und butterte fast zwei Billionen Dollar in die amerikanische Wirtschaft.
Wirtschaft: Mit dem «Inflations-Reduktions-Gesetz» setzte er durch, dass 1,2 Billionen Dollar in neue Strassen, Brücken und High-Speed-Internetkabel investiert wurden. Mit dem «Chips- und Wissenschaftsgesetz» investierte er mehr als 50 Milliarden Dollar in die heimische Produktion von Halbleitern. Während seiner vier Jahre im Amt schuf die amerikanische Wirtschaft fast 17 Millionen neue Jobs.
Klimawandel: Dank seiner Initiativen investierten die USA rund 400 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien, traten dem Pariser Klimaabkommen (nach Trumps Austritt) wieder bei und verboten neue Öl- oder Gasbohrungen in weiten Teilen der amerikanischen Küstengewässer.
Sicherheit: Die Anzahl von Gewaltverbrechen sank in Amerika zuletzt auf den tiefsten Stand seit 50 Jahren. Gleichzeitig begnadigte Biden Tausende Drogendealer und wandelte die Todesstrafen von 37 Mördern in lebenslängliche Haftstrafen um.
Ukraine: Ohne Bidens Hilfe wäre Kiew längst eingenommen. Die USA haben der Ukraine Kriegsmaterial in der Höhe von fast 67 Milliarden Dollar zugesichert. Biden reiste im Februar 2023 mit dem Zug nach Kiew und besuchte als erster Präsident der US-Geschichte ein aktives Kriegsgebiet ohne direkte amerikanische Beteiligung. Ein mutiger Zug.
Bidens Warnung zum Schluss
Natürlich hatte seine vierjährige Präsidentschaft aber auch ihre schattigen Momente:
Afghanistan: Bidens Entschluss, die US-Streitkräfte im Sommer 2021 aus dem Land abzuziehen, stürzte Afghanistan zurück ins Chaos. Die Taliban übernahmen das Land im Nu – mit brutalen Konsequenzen vor allem für Frauen und Mädchen, die keinen Zugang mehr zu höherer Schulbildung erhalten und von weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen sind.
Naher Osten: Biden konnte den Ausbruch des neuen Krieges zwischen Israel und der Hamas nicht verhindern. Ob der Waffenstillstand und der Austausch von Geiseln und Gefangenen ab Sonntag tatsächlich zustande kommen, bleibt ungewiss.
Migration: Die rekordhohe Anzahl von illegalen Ankömmlingen an der US-Südgrenze im ersten Jahr seiner Präsidentschaft lieferte seinen politischen Gegnern genügend Munition, um die demokratische Partei als einen Haufen von Wegschauern und Verharmlosern zu brandmarken. Da nützte es auch nichts mehr, dass die Migrantenzahlen gegen Ende von Bidens Amtszeit rapide sanken.
Studierende: Biden versprach, die oftmals hohe Schuldlast, die junge Menschen in den USA für ein Studium auf sich nehmen müssen, um bis zu 20'000 Dollar pro Student zu reduzieren. Sein Anliegen, das das Bildungssystem in Amerika fairer und durchlässiger gemacht hätte, scheiterte aber im Parlament.
Was also bleibt von Biden, den die Vereinigung Amerikanischer Politikwissenschaftler Apsa immerhin als den vierzehntbesten aller 45 US-Präsidenten gewählt hat? Zum Vergleich: Abraham Lincoln war laut Apsa der beste, Donald Trump der schlechteste Präsident aller Zeiten. Bidens Grossprojekte, gerade während der Pandemie, seien beeindruckend, schreiben die Apsa-Experten.
Biden selbst betonte in seiner Abschiedsrede aus dem Oval Office am Mittwochabend, er sei «stolz auf vieles», was sein Team erreicht habe. Gleichzeitig warnte er mit Blick auf Trump und Elon Musk (53) vor einer «Oligarchie», die Amerika nach dem demokratischen Erbe trachte. «Jetzt seid ihr dran, Wache zu stehen», sagte er ans amerikanische Volk gerichtet. Dass es vielleicht bessere Wächter als ihn selbst gegeben hätte, das hat Joe Biden – wenn überhaupt – zu spät erkannt.