Ungarns Flüchtlingspolitik hat offenbar ein neues Tief erreicht. Die Behörden verweigern abgelehnten Asylbewerbern teilweise sogar den Zugang zu Lebensmitteln. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation Hungarian Helsinki Commitee.
Die Menschenrechtsaktivisten verurteilen die Praxis aufs Schärfste. Das Vorgehen sei «eine beispiellose Menschenrechtsverletzung im Europa des 21. Jahrhunderts». Nach internationalem Menschenrechten sei das Vorgehen der Orban-Regierung möglicherweise sogar Folter.
Die Organisation hat zwischen Februar und April acht aktuelle Fälle dokumentiert, in denen insgesamt 13 abgelehnte Asylbewerbern erst von den Behörden mit Essen versorgt wurden, nachdem der Europäische Menschengerichtshof einschritt. Manche der Asylbewerber hatten offenbar bis zu fünf Tage kein Essen bekommen.
Ungarn nimmt kaum Flüchtlinge auf
Das Vorgehen der Behörden passt zur Politik von Ministerpräsident Viktor Orban – und zur Europawahl im Mai. Ungarns Regierungschef ist mit seiner Fidesz-Partei offenbar bereits auf Stimmenfang.
Seit Jahren geht er mit harter Hand gegen Flüchtlinge und Migranten vor. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 liess Orban einen Zaun an der südlichen Grenze des Landes zu Serbien bauen und geht auch mit Gewalt gegen illegale Einwanderung vor. NGOs, die sich mit Migration beschäftigen, hat er mit einer extra Steuer belegt.
Ungarn lehnt die meisten Asylgesuche ab. Die Behörden nehmen Anträge überhaupt nur von einer kleiner Anzahl Flüchtlingen an, die sie zuvor in Transitzonen an der Grenze gelassen haben. Wer aus einem sicheren Land aus einreist, hat seit Juli 2018 keine Chance mehr – dazu zählt auch Serbien, über das viele Flüchtlinge kommen.
Ein Sprecher von Ministerpräsident Orban hat die Kritik des Hungarian Helsinki Commitee laut «Guardian» zurückgewiesen. Die Behörden würden «alles für Menschen, die sich legal in der Transitzone aufhalten» bereitstellen. Essen gäbe es jedoch nicht für diejenigen, deren Antrag bereits abgelehnt sei. «Das ist wie in der Wirtschaft: Wenn das Geschäft abgeschlossen ist, können wir da nichts mehr machen.»
Aushungern ist perfider Trick
Bereits im vergangenen Jahr sagte er in einem Interview: «Es gibt nicht für jeden eine gratis Mahlzeit.» Wer abgelehnt sei, könne beispielsweise nach Serbien zurückkehren. Das Problem: Ungarn hat kein Rückführungsabkommen mit Serbien. Die Regierung kann die abgelehnten Asylbewerber daher nicht selbst dorthin ausschaffen.
Die Menschenrechtsaktivisten halten die systematische Verweigerung von Nahrung daher für einen perfiden Trick. «Die Idee ist: Sind die Leute hungrig genug, gehen sie von selbst zurück nach Serbien», sagt Marta Pardavi, stellvertretende Vorsitzende des Hungarian Helsinki Committee. «Das bedeutet allerdings, dass sie wiederum illegal nach Serbien einwandern.»
Laut Orbans Sprecher nähme Ungarn Menschen auf, die «nicht nur mit einer Story, sondern mit einem echten Beweis» kämen, dass ihr Leben in Gefahr sei. Im vergangenen Jahr haben die ungarischen Behörden in der Transitzone 349 Anträge auf Asyl bewilligt – die meisten der angenommenen Asylbewerber stammen aus Afghanistan, Irak und Syrien. (kin)