Schwere Anschuldigungen von Geflüchteten
Warf die griechische Küstenwache Migranten mit gefesselten Händen über Bord?

Die griechische Küstenwache steht unter Verdacht, über mehrere Jahre für den Tod dutzender Migranten verantwortlich zu sein. Neun Geflüchtete soll sie absichtlich ins Meer geworfen haben.
Publiziert: 20.06.2024 um 09:59 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2024 um 10:31 Uhr
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Ein Boot der griechischen Küstenwache.
Foto: imago images/ANE Edition
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Janine EnderliRedaktorin News

Die Anschuldigungen wiegen schwer: Laut den Aussagen mehrerer Zeugen hat die griechische Küstenwache über einen Zeitraum von drei Jahren den Tod von Dutzenden von Migranten im Mittelmeer verursacht. Dies berichtet die britische BBC. Bei den Todesopfern handle es sich hauptsächlich um Menschen, die über das Meer von Syrien über die Türkei bis nach Griechenland geflohen waren. 

Über 43 Bootsmigranten hätte die Küstenwache noch auf dem Wasser oder bei Erreichen der griechischen Insel mit Gewalt zurückgedrängt, so die Recherchen. Einzelne Beamte sollen mehrere Flüchtlinge ins Meer geworfen haben. Dabei sollen neun Menschen gestorben sein. Die Vorfälle hätten sich zwischen 2020 und 2023 ereignet.

«Sie wollten, dass ich sterbe»

Ein Flüchtling aus Kamerun erzählte den BBC-Reportern seine Geschichte: Nach seiner Ankunft auf der griechischen Insel Samos sei der junge Mann von zwei maskierten Polizisten festgenommen und auf ein Schiff der Küstenwache gebracht worden. Dort sei er «wie ein Tier» geschlagen und zusammen mit zwei weiteren Flüchtlingen ins Wasser geworfen worden. «Sie begannen mit dem anderen Kameruner. Sie haben ihn ins Wasser geworfen. Danach war der Ivorer dran. Er rief noch: ‹Rettet mich, ich will nicht sterben›, und dann war schliesslich nur noch seine Hand über Wasser», erzählt der Kameruner im Interview. Der junge Mann sei der Einzige gewesen, der sich retten konnte.

Der Anwalt des Überlebenden versucht nun, den Fall vor Gericht zu bringen. Ein weiterer Geflüchteter berichtete von Ähnliches. Die Küstenwache habe ihn mit hinter dem Rücken gefesselten Händen ins Meer gestossen. «Sie wollten, dass ich sterbe», sagte er zur BBC. Durch grosses Glück habe er sich aus den Fesseln befreien und es ans türkische Ufer schaffen können. Dort habe ihn die dortige Küstenwache gerettet.

«Sie liessen uns im Stich»

Dem BBC-Recherche-Team liegt ausserdem Filmmaterial vor, das zeigt, wie zwölf Menschen auf ein kleines Beiboot geladen werden. Später im Video wird dieses mitten auf dem Meer zurückgelassen. Der Syrer Mohammed sagt, er hat das Gleiche erlebt. «Wir fingen sofort an zu sinken, sie sahen es. Sie hörten uns alle schreien, und trotzdem liessen sie uns im Stich», berichtet der Mann. Insgesamt seien bei dem Vorfall acht Kinder gestorben. 

Im Rahmen der Recherchen zeigte die BBC einem hochrangigen griechischen Offizier das erwähnte Filmmaterial. Dieser stritt während des Interviews ab, auf dem Video etwas Illegales zu erkennen. Als das Gespräch endete, das Mikrofon aber noch lief, entlarvte sich der Offizier selbst: «Ich habe euch doch nicht zu viel erzählt, oder?», sagte er. «Ich weiss nicht, warum sie es am helllichten Tag getan haben. Ich meine, das ist offensichtlich illegal.»

Gegenüber den BBC-Journalisten weist die Küstenwache alle Vorwürfe zurück. Die Anschuldigungen seien haltlos. Es fänden keine illegalen Aktivitäten statt und man würde in Einklang mit allen Konventionen handeln. Das für die Küstenwache zuständige Ministerium für maritime Angelegenheiten und Inselpolitik gab an, die Vorwürfe durch ein unabhängiges Gremium prüfen lassen zu wollen.


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