Vanja Crnojevic (36) flüchtete als Kind aus Jugoslawien in die Schweiz. Mit welchem Leid eine solche Flucht verbunden ist, kennt sie aus eigener Erfahrung. Ein Grund, wieso sie sich seit Jahren in der Flüchtlingspolitik engagiert – nicht mit Parolen, sondern mit tatkräftiger Hilfe vor Ort. So gründete sie die Organisation Borderfree Association und hilft derzeit in der serbischen Hauptstadt Belgrad und in Obrenovac. Dort frieren Tausende Flüchtlinge bei eisiger Kälte.
Ihre Flüchtlingsorganisation wird ab Mitte Februar eine mobile Zahnarztklinik in die offiziellen Flüchtlingscamps in Serbien und Griechenland schicken. BLICK hat wenige Tage vor der Fahrt nach Belgrad mit Crnojevic gesprochen.
Vanja Crnojevic, wie ist die Lage vor Ort derzeit?
Die momentane Lage ist schrecklich. Auf den Belgrader Strassen wohnen gegen 1500 Männer, viele von ihnen hinter dem Bahnhof von Belgrad in einer verlassenen Lagerhalle. Allen gemein ist, dass sie weder sanitäre Anlagen noch Heizungen zur Verfügung haben.
Was hält sie warm?
Sie zünden Feuer an und verwenden dabei Plastikflaschen, was wiederum sehr gesundheitsschädlich ist. In einem offenen Parkhaus schlafen rund 70 Männer. Es sind viele Minderjährige im Alter zwischen neun und 17 Jahren darunter, welche ohne Begleitung geflohen sind.
Was wird am dringendsten benötigt?
Alles, einfach alles. Die einzige warme Mahlzeit am Tag bekommen sie von der Organisation Hot Food Idomeni. Sie brauchen unsere finanzielle Unterstützung, damit sie täglich 1500 Mahlzeiten kochen können.
Sie helfen seit über einem Jahr vor Ort. Mit welchen Problemen werden die Helfer konfrontiert?
Als Helfer sehen wir entsetzliche Bilder. Man fühlt sich machtlos – vor allem, weil wir in der serbischen Hauptstadt keine Infrastruktur aufbauen dürfen. Wir versuchen die Flüchtlinge zu überreden, in die Camps zu gehen. Aber ihre Angst vor Abschiebung ist zu gross.
Wie kann man von der Schweiz aus helfen?
Ich rate allen, die von der Schweiz aus helfen möchten, uns zu kontaktieren. Es braucht hier eine gute Koordination, um effektiv helfen zu können. Unsere Organisation Borderfree unterstützt lokale Organisationen und arbeitet eng mit dem zuständigen Kommissariat zusammen. Die einheimischen Hilfsorganisationen wissen genau, was gerade benötigt wird.
Wieso soll man nicht auf eigene Faust helfen?
Davon rate ich dringend ab. Die Zollregelungen sind sehr streng, da Serbien nicht EU-Mitglied ist. Und viele Lebensmittel und andere Dinge sind vor Ort sowieso viel günstiger. Auf jeden Fall können Spender uns oder die anderen Hilfsorganisationen anschreiben und fragen, was gerade am dringendsten gebraucht wird.
Bürokratie, Leid und Kälte: Wie gehen Sie selbst damit um?
Bürokratie, wie in jedem Land, erschwert den Flüchtlingen und uns das Leben und die Mithilfe. Das Leid dieser Menschen ist unbeschreiblich. Vor allem als Mutter fällt es mir sehr schwer, den Kindern nicht helfen zu können, mit anzusehen, wie sie ihre Kindheit verbringen müssen. Viele haben enorme psychische Probleme. Jeder Tag stellt einen neuen Kampf dar, eine neue Herausforderung, die alle viel Kraft kostet. Aber zu Hause zu sitzen im Wissen, was hier in Europa gerade passiert, kommt für mich nicht in Frage. (pma)