Bilanz des Erdbebens von Albanien am Dienstag: über 40 Tote, über 650 Verletzte, wohl Tausende Obdachlose. «Das hätte nicht sein müssen», schimpft der Schweizer Rolf Alther (77), der mit seiner kosovarischen Frau seit 2014 in Durres lebt. Hier, in der Hafenstadt an der Adria, bebte die Erde am heftigsten.
Alther hat BLICK diverse Fotos geschickt, die er von seiner Wohnung aus und vor dem Wohnblock, in dem er lebt, gemacht hat. Sie zeigen den Trümmerhaufen eines fünfstöckigen Gebäudes, in dem Bergungsleute seit dem Beben nach Vermissten suchen. Sie zeigen beschädigte Gebäude, bei denen ganze Backsteinwände einfach herausgebrochen sind. Und sie zeigen das erst vor zwei Jahren erstellte Hotel Lubjana, das völlig schief steht.
«Eindeutig Baupfusch»
Das Beben erreichte auf der Richterskala einen Wert von 6,4. «Das ist gar nicht so hoch, aber dennoch sind die Schäden enorm», sagt Alther gegenüber BLICK am Telefon. Das Problem: Keiner hier getraue sich zu sagen, warum es solche Schäden gebe. «Die Ursache der Einstürze ist eindeutig Baupfusch», meint Alther. «Man hat ein paar Säulen betoniert und dazwischen Backsteine gestapelt – in falscher Richtung und kaum mit Mörtel versehen. Am Schluss innen und aussen Verputz drauf und ab in den Verkauf.»
Der Rorschacher, der vor Jahren den Landesring der Unabhängigen (LdU) im St. Galler Kantonsparlament vertrat, spricht sogar von «krimineller Bauausführung». Er weiss: «In der Schweiz beträgt der Gewinn eines Bauunternehmens bei einem Projekt sechs bis sieben Prozent, hier sind es 70 Prozent! Die Unternehmer verdienen sich eine goldene Nase, und das auf Kosten der Sicherheit.»
Kriminelle profitieren vom Erdbeben
Alther schiebt daher die Schuld an den vielen Toten und Verletzten den Bauunternehmen zu. «Die erlittenen Schmerzen und der Verlust von Wohnung, Hab und Gut sind riesig.»
Der Schweizer, der 2007 die Gesellschaft Schweiz-Albanien gegründet hatte und sie auch präsidierte, befürchtet, dass viele kriminelle Unternehmer durch das Erdbeben profitieren würden. Alther: «Viele Staaten und Private schicken Spenden für den Wiederaufbau, die in den Taschen dieser Pfuscher landen werden.»
Backsteine falsch montiert
Bozidar Stojadinovic (57), Professor für Strukturdynamik und Erdbebeningenieurwesen an der ETH Zürich, bestätigt gegenüber BLICK: «Wenn man diese Bilder mit den Schäden betrachtet, muss man tatsächlich von Baupfusch reden.» So sei zu sehen, dass die Backsteine mit zu wenig Zement und auch falsch aufgeschichtet worden seien, nämlich horizontal statt vertikal. Auch fehle da, wo in der Hauswand ein Loch klaffe, eine Verbindung zwischen der Mauer und der Stütze. «In der Schweiz würde man nie so bauen, hier sind die Fachschulen viel strenger», sagt der Fachmann.
Krass sei das in Schieflage geratene Hotel Lubjana. «Hier ist offenbar ein ganzes Stockwerk zusammengedrückt worden.» Das passiere immer wieder, weil Hoteliers ihre Empfangshallen offen und ohne Wände gestalten wollten. «Es gibt wohl keine andere Lösung, als dieses Gebäude abzureissen», meint Stojadinovic.
Mangelhafte Ausbildung
Grund für den den tiefen Stand der Technik sieht Stojadinovic in erster Linie bei der mangelhaften Ausbildung der Bauleute sowie beim Druck, den Bauherren auf die Unternehmen ausübten. «Sie sind zum Teil kurzfristig auf Profit ausgerichtet, statt dass sie an morgen denken und auch in die Sicherheit investieren.»
Für den ETH-Professor ist klar: «Moderne Gebäude sollten einem Erdbeben von der Stärke 6,4, wie es am Dienstag in Albanien herrschte, standhalten können.»