Schweizer Paar steckte in der Ukraine fest, nachdem ihr Leihmutter-Baby zur Welt gekommen war
«Endlich haben wir unseren Sohn heimholen können»

Wegen Corona können zurzeit Wunscheltern ihre von Leihmüttern ausgetragenen Kinder in der Ukraine nicht abholen. Auch Schweizer mussten wochenlang in Kiew ausharren, bevor sie mit ihrem Baby ausreisen konnten. Gegenüber BLICK erzählen Betroffene über ihre Odyssee.
Publiziert: 18.05.2020 um 23:06 Uhr
|
Aktualisiert: 17.02.2021 um 18:18 Uhr
1/14
46 Babys in einem Hotelraum: Hier werden die Säuglinge gepflegt, bis die neuen Eltern kommen.
Foto: keystone-sda.ch
Guido Felder

Die Corona-Krise stellt viele Paare, die ihr von einer Leihmutter ausgetragenes Kind in Empfang nehmen wollen, auf eine harte Geduldsprobe. So sind im Venice Hotel in der ukrainischen Hauptstadt Kiew inzwischen über 100 Babys gestrandet, deren neue Eltern zurzeit nicht ins Land einreisen können (BLICK berichtete).

Das Deutschschweizer Paar Hanna und Heiner* kennt dieses Gebäude der Firma BioTexCom, ein «Zentrum für menschliche Fortpflanzung», bestens. Auch sie warteten dort während der Corona-Quarantäne darauf, bis sie mit ihrem von einer ukrainischen Leihmutter ausgetragenen Sohn Maximilian* endlich nach Hause reisen konnten.

Das erste Treffen mit Tränen

Maximilian ist um die Weihnachtszeit zur Welt gekommen. «Wir sind sofort nach Kiew gereist», erzählt das Paar gegenüber BLICK. In einem Privatspital führte sie eine persönliche Betreuerin von BioTexCom in das Zimmer, wo das Baby mit einer Hebamme von Geburt an untergebracht war. «Es war ein sehr emotionaler Augenblick, als wir zum ersten Mal unser Baby sahen», erzählen die beiden. Auch die Leihmutter, die in einem anderen Zimmer lag, trafen sie. Heiner: «Als wir sie sahen, schossen uns Freudentränen in die Augen.»

Als die frischgebackenen Eltern ihren Sohn zwei Tage nach dessen Geburt abholen konnten, begann die lange Wartezeit auf die Rückreise. Es dauert von der Geburt an acht Wochen, bis die Schweiz die «Aberkennung» des Kindes durch die Leihmutter anerkennt. Erst nach dieser Zeit konnte das Paar in Kiew auf der Schweizer Botschaft die Formulare einreichen, deren Weiterleitung und Bearbeitung in der Schweiz weitere Wochen in Anspruch nahmen.

«In dieser Wartezeit lebte ich mit Maximilian in einem kindergerechten Zimmer des Familienhotels Venice. Für mich begann hier schon der Alltag als Mutter», erzählt Hanna. Sie gab ihrem Sohn den Schoppen, beruhigte ihn, wenn er schrie, und ging mit ihm spazieren. Heiner pendelte per Flugzeug zwischen seiner Arbeit in der Schweiz und seiner neuen Familie in Kiew hin und her.

Frauen hängen sich Bauch um

Im Gebäude trafen Hanna und Heiner auf viele andere Paare aus aller Welt. «Viele sagen gar niemandem, dass ihr Kind von einer Leihmutter stammt. Es gibt sogar Frauen, die binden sich vorher einen Bauch um, um eine Schwangerschaft vorzutäuschen», sagt Hanna. Sie selber wollten es auch nicht an die grosse Glocke hängen, hätten aber engste Verwandte und Freunde schon vorgängig informiert.

Die Firma BioTexCom vermittelt nicht nur Leihmütter, sondern betreibt als Kerngeschäft Reproduktionsmedizin, also künstliche Befruchtung. Diese Eingriffe werden in der eigenen Privatklinik durchgeführt. Das Hotel dient ausschliesslich als Wohnmöglichkeit für die Wunscheltern, die warten müssen, bis die Dokumente vorliegen. «Es hat immer Kinderärzte und medizinisches Personal. Alle sind sehr professionell und freundlich», sagt Hanna.

Corona verzögert Heimreise

Rund zwölf Wochen nach der Geburt hätte Hanna mit Maximilian in die Schweiz zurückreisen wollen. Wegen der Corona-Krise dauerte die Wartezeit allerdings um einiges länger. Heiner: «Seit Tschernobyl gehen die Ukrainer bei Katastrophen radikal vor: Das Hotel und die ganze Stadt wurden komplett abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt.» Hanna und die andern Wunscheltern konnten das Hotel nicht mehr verlassen. Sie durfte Maximilian nur gerade in einem kleinen, hauseigenen Garten zum Spazieren führen. Die Rückkehr in die Schweiz wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Erst Mitte April, rund vier Monate nach Maximilians Geburt, konnte Hanna ihren Sohn endlich per Rückholflug des EDA in seine neue Heimat und zum Vater bringen. «Wir wurden in Kiew bestens und sehr liebevoll betreut. Aber wir waren unendlich erleichtert, als wir unseren Sohn in sein eigenes Bettchen in seinem neuen Zuhause in der Schweiz legen konnten», sagt Hanna.

Weniger Glück haben die Wunscheltern von Babys, die während der Corona-Zeit zur Welt kommen. Sie können ihre Kinder wegen des Einreiseverbots nicht abholen. Immer mehr Kinder stranden im Hotel. Inzwischen sind es über 100.

50'000 Euro gezahlt

Die beiden Schweizer hatten sich 2018 für ein Kind aus Leihmutterschaft entschieden, nachdem Hanna zwei Fehlgeburten erlitten hatte und mehrere Versuche der künstlichen Befruchtung misslungen waren. Im Frühling 2019 wurden in Kiew bei Hanna und Heiner Eizelle und Sperma entnommen und fünf Tage später an die Leihmutter transferiert. Die Leihmutter hat also keine genetische Verwandtschaft mit dem Kind.

Für die Dienstleistung von BioTexCom mussten Hanna und Heiner 50'000 Euro zahlen. «Davon erhält die Leihmutter 16'200 – für ukrainische Verhältnisse eine grosse Summe», sagt Heiner. Inzwischen sei der Preis auf 65'000 Euro erhöht worden. «Das ist immer noch viel weniger als etwa in den USA, wo ein Kind mindestens 100'000 Dollar kostet.»

Schluss mit «Menschenhandel»

Die Leihmutterschaft sorgt innerhalb der Ukraine für massive Kritik. Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Ljudmila Denissowa fordert unverzüglich schärfere Gesetze gegen den «Menschenhandel mit Babys».

Was sagen Hanna und Heiner zu diesem Vorwurf? «Der ganze Leihmutterschaftsprozess wird medizinisch seriös und professionell geplant und begleitet. Man geht nicht einfach hin und holt sich ein Baby. Es war für uns einfach die letzte noch verbleibende Möglichkeit, unseren Kinderwunsch zu erfüllen», sagen die beiden. Für viele Ukrainerinnen sei es zudem eine gute Möglichkeit, mit dem Geld aus der Leihmutterschaft ihre Familien zu unterstützen.

«Die Firma garantiert, dass es klappt»

Nicht jede Frau kann Leihmutter sein. Die Frauen werden im voraus psychologisch und medizinisch gründlich untersucht, zudem müssen sie bereits Mutter von einem gesunden Kind und unverheiratet sein. Heiner: «Durch die Pränataldiagnostik der Eizelle werden Chromosomen-Fehler rechtzeitig erkannt.» Es würden nur gesunde befruchtete Eizellen eingepflanzt. «Die Firma garantiert, dass es klappt.»

Die frischgebackenen Eltern werden ihrem Sohn später nicht verschweigen, woher er eigentlich stammt. «Er soll das Recht haben zu wissen, wie er entstanden ist, und auch seine Leihmutter kennenlernen können, wenn er das wünscht», sagt Hanna.

Hanna und Heiner haben in Kiew eine turbulente, intensive, aber auch schöne Zeit erlebt. Jetzt aber seien sie froh, zu Hause zu sein. Sie sagen: «Wir sind durch das Baby als Familie gewachsen und angekommen. Unser Glück ist nun vollkommen.»

* Namen der Redaktion bekannt und geändert

Kinder auf Bestellung

Weil die Leihmutterschaft in der Schweiz und in den meisten anderen europäischen Ländern verboten ist, weichen Paare ins Ausland aus, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Vor der Rückkehr muss die Wunschmutter das Baby adoptieren, auch wenn es aus der eigenen Eizelle entstanden ist. Ist der Vater der biologische Erzeuger, kann er das Kind als sein eigenes anerkennen lassen. Ist er nicht der genetische Vater, muss auch er das Kind adoptieren. Paare in eingetragener Partnerschaft dürfen keine Kinder adoptieren.

Die Ukraine ist eines der beliebtesten Länder für die umstrittene Leihmutterschaft. Die Firma BioTexCom geriet schon einige Male in die Schlagzeilen. Einmal stellte sich heraus, dass Baby und Wunscheltern kein gemeinsames Genmaterial besassen, was aber in der Ukraine vorgeschrieben ist. Ein anderes Mal lehnten amerikanische Wunscheltern ein Baby ab, weil es behindert war. Guido Felder

Weil die Leihmutterschaft in der Schweiz und in den meisten anderen europäischen Ländern verboten ist, weichen Paare ins Ausland aus, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Vor der Rückkehr muss die Wunschmutter das Baby adoptieren, auch wenn es aus der eigenen Eizelle entstanden ist. Ist der Vater der biologische Erzeuger, kann er das Kind als sein eigenes anerkennen lassen. Ist er nicht der genetische Vater, muss auch er das Kind adoptieren. Paare in eingetragener Partnerschaft dürfen keine Kinder adoptieren.

Die Ukraine ist eines der beliebtesten Länder für die umstrittene Leihmutterschaft. Die Firma BioTexCom geriet schon einige Male in die Schlagzeilen. Einmal stellte sich heraus, dass Baby und Wunscheltern kein gemeinsames Genmaterial besassen, was aber in der Ukraine vorgeschrieben ist. Ein anderes Mal lehnten amerikanische Wunscheltern ein Baby ab, weil es behindert war. Guido Felder

Fehler gefunden? Jetzt melden