Der Ökonom Marco Hafner (37) lebt seit 10 Jahren in England. Er hat in London studiert und arbeitet als Forschungsleiter bei der Rand Corporation. Hafner hat an zwei grossen ökonomischer Studien mitgewirkt, die sich mit den Auswirkungen des Brexit befassen. An Boris Johnson lässt er kein gutes Haar.
Wie ist die Stimmung in Grossbritannien?
Marco Hafner: Ein grosser Teil der Menschen, die für den Brexit stimmten, würde das heute wohl nicht mehr tun. Sie haben mittlerweile gesehen, was diese Entscheidung angerichtet hat. Die Briten wollen es einfach nur hinter sich bringen und wären schon froh über einen wie auch immer gearteten Deal.
Wie haben Sie als Schweizer in London die letzten drei Jahre seit dem Referendum erlebt?
Mir ist die überragende Bedeutung des politischen Systems bewusst geworden. Die Schweizer können darauf stolz sein. In Grossbritannien kann eine einzige Partei unter der Führung einiger fehlgeleiteter Figuren mit extremen Ansichten politische Entscheidungen durchboxen, welche das Land höchstwahrscheinlich wirtschaftlich ärmer machen und die soziale Ungleichheit verstärken. Und das ohne grossen Einfluss von Oppositionsparteien. Das ist für mich als Schweizer unfassbar.
Wie wichtig wäre ein Deal aus ökonomischer Sicht?
Ob ein Brexit mit oder ohne Deal spielt im Vergleich zum Verbleib in der Europäischen Union letztlich keine Rolle. Für die Briten ist es so oder so ein wirtschaftliches Verlustgeschäft.
Aber ein Deal wäre besser als keiner.
Ja, aber mit einem Deal ist noch nicht viel erreicht. Denn vieles was in der politischen Deklaration steht, ist rechtlich überhaupt nicht bindend. Handel, Dienstleistungen – alles muss neu verhandelt werden. Im Vergleich zu dieser Herkulesaufgabe waren die letzten drei Jahre seit dem Referendum ein Klacks.
Boris Johnson sagt: «Get Brexit done! – Der Rest erledigt sich von selbst.»
Johnson redet sich das wohl selber ein. Mit einer politischen Deklaration ist noch nichts getan. Jedes einzelne zukünftige Gesetz wird vom Parlament abgesegnet werden müssen. Von einem Parlament notabene, das dauernd seine Zusammensetzung ändert. In zwei Jahren läuft die Übergangsphase aus. Wenn bis dahin nicht alles geregelt ist, stehen wir wieder bei Null.
Vor drei Jahren waren die Briten noch sehr euphorisch.
Allerdings. Da hat man ihnen auch erzählt, es werde ganz sicher einen weichen Brexit geben. Alles würde zuerst geregelt und ins Reine gebracht. Eine saubere Lösung. Das Gegenteil ist eingetreten!
Johnson sagt, mit einem Freihandelsabkommen mit der EU werde das alles ganz einfach.
Quatsch. Das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU hat sieben Jahre gebraucht, bis es gezimmert war. Auch Boris Johnson kann so etwas nicht in ein paar Monaten machen.
Was bedeutet der Brexit für die Schweiz?
Die Schweiz war schlau genug, sich auf beide Szenarien gut vorzubereiten. Sie hat diverse Abkommen mit Grossbritannien geschlossen, unter anderem zum Handel und zu den Rechten der Bürger. Ich selbst habe vor einigen Monaten Post vom Schweizer Botschafter bekommen, der mir mitteilte, alles laufe weiter wie bisher. Auch ohne Deal würde die Schweiz also gut wegkommen. Das macht den Übergang einfacher.
Und längerfristig?
Johnson wird den Fokus auf die USA und die Schwellenländer legen. Das könnte für die Schweiz Einbussen im Handel mit Grossbritannien bedeuten und Auswirkungen auf Schweizer Investitionen auf der Insel haben. Aber die grossen ökonomischen Kosten tragen weder die Schweiz noch die EU – die trägt Grossbritannien.
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.