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Schweizer in Hongkong machen sich Sorgen
«Haben Angst, dass China mit dem grossen Hammer einfährt»

Der in Hongkong lebende Schaffhauser Werner Heimgartner (64) glaubt nicht, dass sich die Lage nach dem Gesetzesrückzug beruhigt. Vor dem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober könnte es höchst ungemütlich werden.
Publiziert: 05.09.2019 um 00:58 Uhr
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Aktualisiert: 05.09.2019 um 09:42 Uhr
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«Fünf Hauptforderungen sind unverhandelbar»: Studenten protestieren weiter, auch wenn das umstrittene Gesetz zurückgezogen wurde.
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Guido Felder

Es ist eine nur scheinbar frohe Kunde aus Hongkong: Die Regierung hat den Entwurf zum umstrittenen Gesetz für Auslieferungen nach China komplett zurückgezogen. Mit diesem Schritt erfüllt Regierungschefin Carrie Lam (62) eine der Hauptforderungen der Demonstranten.

Doch wer meint, in Hongkong kehre nun Ruhe ein, täuscht sich. Die Demonstranten halten an weiteren vier Forderungen fest: Rücktritt von Lam, unabhängige Untersuchung der brutalen Polizeigewalt, Freilassung von verhafteten Demonstranten, Rücknahme des Vorwurfs des «Aufruhrs».

Die Jugend hat genug von der China-Führung 

Der Schaffhauser Werner Heimgartner (64) lebt seit 30 Jahren in Hongkong, und zwar im südlich gelegenen Stanley auf Hongkong Island. Er hat miterlebt, wie die Demonstranten anfänglich noch friedlich auf die Strasse gingen und wie die Proteste schliesslich ausarteten und die Polizei mit Gewalt einfuhr. «Inzwischen gibt es Gewalt auf beiden Seiten, was ich zutiefst verabscheue», sagt er. Solange die Proteste noch friedlich waren, habe seine chinesische Frau dreimal daran teilgenommen, er selber sich als «neutraler Schweizer» aber stets rausgehalten.

Der ehemalige Versicherungsberater, der heute im Perlenhandel tätig ist, glaubt trotz Rückzug des umstrittenen Auslieferungsgesetzes nicht an eine Beruhigung der Lage. «Die Jungen haben die Schnauze voll und werden weiterhin auf die Strasse gehen. Sie wollen eine Veränderung, streben eine Demokratie an», sagt er dem BLICK.

Am 1. Oktober wird es brenzlig

Vor allem mache ihm der 1. Oktober grosse Sorge. Dann feiert China den 70. Gründungstag der sozialistischen Volksrepublik. Heimgartner: «Wir haben Angst davor, dass im Vorfeld dieses Jubiläums die Chinesen brutal mit dem grossen Hammer einfahren, wenn es wieder zu Demonstrationen kommt.»

Auch in der Schweiz beobachtet man den Rückzug des Gesetzes mit Argwohn. «Der Schritt mag vielleicht einen Teil der Bevölkerung zufriedenstellen», sagt eine in der Schweiz wohnhafte Person aus Hongkong, die anonym bleiben will. Und weiter: «Es ist möglich, dass Carrie Lam den Rückzug angekündigt hat, um dem US-Kongress zu gefallen.» Der soll nämlich demnächst darüber beraten, ob die USA die Vermögen von chinesischen Beamten einfrieren sollen. Heimgartner dazu: «Was Carrie Lam natürlich verhindern will!»

Massaker wie am Tiananmen-Platz

Hongkongs Protestführer baten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (65) kurz vor Beginn ihrer Chinareise um ein Treffen. In einem offenen Brief an Merkel warnt der bekannte Aktivist Joshua Wong (22) vor einer Eskalation der Gewalt: «Uns steht eine diktatorische Macht gegenüber, die keine freiheitlichen Grundrechte zulässt und immer mehr gewalttätige Massnahmen anwendet, mit Tendenz zu einem neuen Massaker wie am Tiananmen-Platz.»

1989 hatten Soldaten am Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Demokratie-Proteste gewaltsam niedergeschlagen. Auch Heimgartner befürchtet, dass sich diese Konfrontation in Hongkong wiederholen könnte. Er weiss genau: «Das Problem der Chinesen ist, dass sie keinen Gesichtsverlust hinnehmen können.»

Massenproteste in Hongkong

Seit Monaten ziehen sich die Proteste in Hongkong hin. Hunderte regierungskritische Demonstranten blockieren unter anderem Flughäfen, U-Bahn und marschieren durch die Strassen. Die Polizei greift zu brutalen Mitteln, um sie zu stoppen. BLICK hält Sie im Newsticker auf dem laufenden.

Seit Monaten ziehen sich die Proteste in Hongkong hin. Hunderte regierungskritische Demonstranten blockieren unter anderem Flughäfen, U-Bahn und marschieren durch die Strassen. Die Polizei greift zu brutalen Mitteln, um sie zu stoppen. BLICK hält Sie im Newsticker auf dem laufenden.

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