Schweizer berichtet von Dürre und Hungersnot in Äthiopien
«Ganze Herden starben in nur einer Nacht»

Die schlimmste Dürre seit 30 Jahren sucht derzeit Äthiopien heim. Die Bevölkerung leidet Hunger, und zahlreichen Nomaden stirbt das Vieh weg. Mittendrin: Eine Schweizer Hilfsorganisation.
Publiziert: 04.02.2016 um 22:13 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:17 Uhr
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Seit vielen Monaten stirbt ein Tier ums andere. Die Nomaden, die von der Viehzucht lebten, sind verarmt – und hungrig.
Foto: obs/Stiftung Menschen für Menschen Schweiz/Rainer Kwiotek
Céline Trachsel

Letztes Jahr blieben in manchen Regionen Äthiopiens die Niederschläge gleich in beiden Regenzeiten vom Frühling und Herbst aus. Das einstige Weideland ist verdorrt, das Vieh längst verhungert, und die Nomaden, die von der Milch, vom Fleisch und vom Verkauf ihrer Tiere lebten, sind nun mittellos – und vor allem hungrig.

«Grünes gibts hier schon lange keines mehr, die Gegend sieht karger aus denn je. Sogar die sonst sehr robusten Dornenbüsche, von denen sich Ziegen und Kamele ernährten, sind verdorrt», erzählt Martin Grunder (70).

Der Berner Geologe Martin Grunder (70) leitet in Äthiopien die Hilfsprojekte.
Foto: Stiftung Menschen für Menschen Schweiz

Der Berner leitet für die Zürcher Stiftung «Menschen für Menschen Schweiz» Hilfsprojekte in Äthiopien. Seit über drei Jahrzehnten ist er in Afrika tätig. Die aktuelle Dürre ist die schlimmste seit 30 Jahren. Dazu kommen Stürme und andere Naturereignisse, die der studierte Geologe auf den Klimawandel zurückführt.

Wohlhabende Viehzüchter verarmen

Grunder hat Bauern getroffen, die Kuhherden von über 100 Tieren hatten, von denen heute nur noch einzelne Tiere leben. «In einer stürmischen Nacht im August sind reihenweise Tiere verendet, die bereits sehr geschwächt waren.» Selbst Kamele würden die Strapazen nicht überleben. «Sie brauchen zwar nicht viel Wasser, aber sie verhungern.»

Manche Viehzüchter seien bis vor kurzem noch wohlhabend gewesen. «Es ist ergreifend und traurig zu sehen, wie sie jetzt nur noch versuchen, mit ihren Familien irgendwie zu überleben.»

Getreide muss Kinder und Vieh ernähren

So ist etwa die Geschichte von Aden Ali kein Einzelfall. Der sechsfache Vater hatte vier Kühe und sieben Kamele – die sind alle tot. Von den 53 Schafen leben noch vier kleine Lämmer, von den 86 Ziegen noch sieben kleine Zicklein.

Die Jungtiere hatte er zu Hause gelassen, als der Rest der Ziegen- und Schafherde eine todbringende Reise zu weit entferntem, vermeintlich noch grünem Weideland antrat.

Die Lämmchen und Zicklein versucht Aden Ali nun mit dem kleinen Rest Getreide durchzufüttern, der seiner Familie noch bleibt – einen Teil erhalten die Kinder, einen Teil die Tiere. Denn er hofft, irgendwann nach der Dürre mit den Jungtieren eine neue Herde gründen zu können.

Essen für hungernde Kinder

Jetzt versorgt die Zürcher Stiftung «Menschen für Menschen Schweiz» kurzfristig die Menschen in den abgelegenen Gebieten. Die Familien erhalten Speiseöl, und für ihre Kinder gibts vitaminreiche Zusatznahrung, um Folgeschäden der Hungersnot zu verhindern. 

Amina (5) ist eines von sechs Kindern von Aden Ali. Das Mädchen kauert in einer Hütte und isst eine Zusatznahrung, das ihr das Schweizer Hilfswerk brachte. Das Pulver wird mit Wasser vermischt und als Brei gegessen.
Foto: Stiftung Menschen für Menschen Schweiz

Denn seit der Hungerkatastrophe im Jahre 1984 hat die Regierung Äthiopiens zwar Notfall-Getreidelager eingerichtet, doch dieses allein versorgt die Kleinsten ungenügend mit Nährstoffen. Deshalb verteilt «Menschen für Menschen» an die Mütter von Kleinkindern eine proteinreiche Zusatznahrung aus Mais, Soja, Zucker, Mineralstoffen und Vitaminen.

«Sie sind dankbar»

Die Schweizer Helfer und deren afrikanische Partner müssen derzeit alles organisieren, damit die Güter tatsächlich bis zu den in der Savanne verstreuten Nomaden-Familien gelangen. «Wir verteilen das Essen an zentralen Orten und informieren die Nomaden vorzeitig – manche Frauen müssen von weit her anreisen, um es abzuholen», erzählt Grunder.

Bei den Verteilaktionen ist er oft dabei. «Manchen sieht man die Strapazen der Reise an, aber sie sind dennoch sehr dankbar.» Alles laufe sehr diszipliniert ab: Diejenigen, die Anspruch auf die Nahrungsmittel haben, werden von einer Liste aufgerufen. «Es ist nicht so, dass eine hungrige Meute unsere Autos stürmt.»

Essen für vier Monate für 25 Franken

Vier Monate lang will die Stiftung das Essen als vorübergehende Notmassnahme verteilen. Denn im Mai wird Regen erwartet, dann wäre das Schlimmste überstanden. Ein Kind vier Monate lang mit der Zusatznahrung zu versorgen, koste nur 25 Franken. «So viel wie ein Mittagessen im Restaurant bei uns», sagt Grunder. Er hofft auf Spenden.

Nebst der kurzfristigen Hilfe baut die Organisation in Äthiopien in einer Region nahe eines Flusses auch ein Bewässerungssystem auf und lehrt die Einheimischen, Gemüse anzubauen. Dies, damit sie bei der nächsten Dürre keine Hilfe mehr benötigen. Grunder: «Das ist meine Motivation, auch mit 70 Jahren noch in Afrika Entwicklungshilfe zu leisten. Man sieht, dass sich etwas nachhaltig verändert.»

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