Schweden bleibt ein Covid-19-Ausnahmefall. Während Infektionszahlen im restlichen Europa beharrlich zu einer zweiten Welle ansteigen, tragen Schweden weiterhin keine Masken. Weder im Zug, im Bus noch beim Einkaufen.
Jetzt scheint aber auch Schwedens Chefepidemiologe Anders Tegnell (64) nervös zu werden. Der Architekt von Schwedens Corona-Sonderweg sagte schon immer, auch trotz vergleichsweise tiefer Ansteckungsraten sei es zu früh, um zu sagen, ob Schwedens Weg der richtige sei. Alle Länder würden sich in einer anderen Phase der Pandemie befinden. Jetzt sieht Tegnell offenbar Anzeichen dafür, dass sich die Schweden strikter an Schutzmassnahmen halten sollen.
Die Zahl der täglichen Todesopfer hat sich im tiefen einstelligen Bereich stabilisiert. Doch seit Monatsbeginn sind die täglichen Infektionszahlen wieder auf durchschnittlich rund 500 geklettert. «Wir gehen langsam aber sicher in die falsche Richtung», sagte Tegnell vergangene Woche. Dies, nachdem der schwedische Regierungschef Stefan Löfven (63) die Bevölkerung eindringlich warnte, sich an die Schutzempfehlungen der Behörden zu halten: Arbeit von zu Hause aus und grosse Menschenansammlungen meiden.
Pendler als Risikofaktor?
Vor Journalisten sagte Tegnell am Donnerstag: «Es sieht leider so aus, als würden wir auf eine neue Rekordwoche zusteuern. Die Kurve, die letzte Woche begann, setzt sich diese Woche weltweit fort. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die in letzter Zeit einen dramatischen Anstieg verzeichnet haben.» Das kriege auch Schweden zu spüren: «Wir haben in den letzten Wochen einen leichten Aufschwung erlebt. Nicht annähernd so dramatisch wie in anderen Ländern Europas, aber es geht langsam aber sicher in die falsche Richtung», wird Tegnell vom schwedischen Onlineportal «The Local» zitiert.
Notfalls würden «lokale Lockdowns für maximal zwei bis drei Wochen verhängt, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen», wird Tegnell weiter vom britischen «Telegraph» zitiert. Das würde Schwedens grössten Strategiewechsel seit März bedeuten. Damals war kein Shutdown angeordnet worden.
Als Hauptgrund für die Trendwende wird die Rückkehr der Menschen nach den Sommerferien zur Arbeit genannt. Obwohl die Behörden raten, von zu Hause aus zu arbeiten, würden immer mehr Menschen pendeln. «Dies ist einer der grossen Unterschiede zu früher», so Tegnell. (kes)