Es kam nicht ganz überraschend, aber ein Paukenschlag war es trotzdem: Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin seinen Verteidigungsminister und engen Vertrauten Sergej Schoigu entlassen.
Schoigus Nachfolger soll der bisherige Vize-Regierungschef Andrej Beloussow werden, wie das Oberhaus des russischen Parlaments am Sonntagabend mitteilte. Dort waren Putins Vorschläge für die Zusammensetzung der neuen russischen Regierung eingegangen.
Schoigu soll nun Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats werden; diesen Posten hat bislang Nikolai Patruschew bekleidet. Patruschews neue Verwendung werde in Kürze bekannt gegeben, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Lawrow bleibt im Amt, Schoigu nicht
Die Bildung einer neuen Regierung steht an, nachdem die alte nach der Präsidentenwahl Mitte März verfassungsgemäss zurückgetreten war. Bei der von Betrugs- und Manipulationsvorwürfen überschatteten Abstimmung hatte sich Putin zum haushohen Sieger ausrufen lassen; vor einigen Tagen liess er sich dann offiziell für seine mittlerweile fünfte Amtszeit vereidigen.
In der neuen Regierung gibt es einige Personalwechsel – keiner davon ist aber auch nur annähernd so wichtig wie die Auswechslung Schoigus. So hält Putin etwa weiter an Ministerpräsident Michail Mischustin fest. Weiter im Amt bleibt zudem auch nach 20 Jahren der 74-jährige Aussenminister Sergej Lawrow, über dessen Ablösung zuletzt ebenfalls spekuliert worden war.
Zivilist an Spitze des Verteidigungsministeriums
Ein offizieller Grund für die Entlassung Schoigus wurde nicht genannt. Vereinzelt war allerdings über eine mögliche Entlassung des 68 Jahre alten Schoigu, der seit 2012 Verteidigungsminister war, spekuliert worden. Vor wenigen Wochen war einer von Schoigus Stellvertretern, Timur Iwanow, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden.
Beobachter hatten das als Anzeichen von Machtkämpfen innerhalb des russischen Militär- und Sicherheitsapparats gewertet. Generalstabschef Waleri Gerassimow bleibe an seinem Platz, betonte Peskow. Die militärische Komponente im Verteidigungsministerium bleibe auch nach der Ernennung Beloussows unverändert.
«Heute gewinnt auf dem Schlachtfeld derjenige, der offener für Innovationen und deren Umsetzung ist», erklärte Kremlsprecher Peskow Putins Entscheidung für einen Zivilisten an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Beloussow sei nicht nur Zivilbeamter, sondern habe auch viele Jahre erfolgreich in der Politik gearbeitet und Putin in Wirtschaftsfragen beraten. Er sei «zweifellos der beste Kandidat», den Komplex der russischen Rüstungsindustrie auszubauen und neue Technologien einzuführen, wurde der Duma-Abgeordnete Sergej Gawrilow von Tass zitiert.
Die Ernennung Beloussows als Schoigus Nachfolger deutet für einige Experten zudem darauf hin, dass Putin den Krieg vor allem mit der Produktion in den Rüstungsbetrieben gewinnen wolle. «In seiner Denkweise ist das logisch, weil sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der Sicherheits- und Militärapparat», sagte der Experte Alexander Baunow. Putins Strategie sei es folglich, Druck auf die Ukraine nicht durch die Mobilmachung neuer Soldaten auszuüben, sondern durch die Kapazitäten des Rüstungskomplexes.
Litauens Präsident: Schoigu-Entlassung als Zeichen für russische Öffentlichkeit gedacht
Kremlsprecher Peskow machte ebenfalls deutlich, dass die Verteidigungsausgaben in Russland inzwischen so hoch seien, dass jemand wie Beloussow der Mann sei, um den Bereich zu kontrollieren. Das Verteidigungsressort nehme bei den Sicherheitsausgaben Russland inzwischen eine Schlüsselposition ein, sagte Peskow. «Das erfordert besonders wichtige Entscheidungen.»
Nach Einschätzung von Litauens Präsidenten Gitanas Nauseda ist Schoigus Entlassung als Zeichen für die russische Öffentlichkeit gedacht. «Dies geschieht für den heimischen Markt. Dies geschieht, um diesen Krieg fortsetzen zu können. Machen wir uns keine Illusionen, dass Putin zu friedlichen Verhandlungen bereit ist», sagte der Staatschef des baltischen EU- und Nato-Landes litauischen Medienberichten zufolge in der Nacht auf Montag in Vilnius. (SDA)