Nach der Entdeckung eines mutmasslichen chinesischen Spionage-Ballons über den USA ist nun nach Pentagon-Angaben ein zweiter derartiger Ballon über Lateinamerika aufgetaucht. «Nach unserer Einschätzung ist es ein weiterer chinesischer Spionage-Ballon», erklärte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder. Die Regierung in Peking warf ihrerseits am Samstag «einigen Politikern und Medien in den USA» vor, den Vorfall als Vorwand zu benutzen, «um China anzugreifen und zu verleumden».
Zu dem zweiten gesichteten Ballon gab der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums nur eine äusserst kurze Erklärung ab. Er machte darin keine Angaben, wo genau der Ballon über Lateinamerika gesichtet wurde. Der erste Ballon flog derweil über die Mitte der USA Richtung Osten.
Das Aussenministerium in Peking erklärte seinerseits: «Einige Politiker und Medien in den Vereinigten Staaten benutzen den Vorfall als Vorwand, um China anzugreifen und zu verleumden.» China habe «niemals» das Territorium oder den Luftraum eines anderen Landes verletzt.
«Dieses Spionage-Teil soll unseren Luftraum verlassen»
Zuvor hatte die Entdeckung des ersten Ballons für neue Verwerfungen zwischen Washington und Peking gesorgt. US-Aussenminister Antony Blinken (60) sagte am Freitag wegen des Vorfalls eine für die kommenden Tage geplante China-Reise ab. In einem Telefongespräch mit dem hochrangigen chinesischen Vertreter Wang Yi (69) machte er nach eigenen Angaben klar, «dass die Präsenz dieses Spionage-Ballons im US-Luftraum eine eindeutige Verletzung der Souveränität der USA und des internationalen Rechts» sei. Es handele sich um einen «unverantwortlichen Akt».
Blinken sagte in dem Telefonat aber zugleich auch, dass die USA diplomatische Verbindungen zu China wollen - «und dass ich plane, Peking zu besuchen, wenn die Bedingungen dafür vorhanden sind». Vor Journalisten sagte der US-Aussenminister später: «Als Erstes müssen wir dafür sorgen, dass dieses Spionage-Teil unseren Luftraum verlässt.» Darauf sei die Regierung fokussiert.
Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete ihrerseits, das Gespräch zwischen Blinken und Wang habe «in ruhiger und professioneller Atmosphäre» stattgefunden. Wang habe vor «Missverständnissen» gewarnt sowie «grundlose Spekulationen» zurückgewiesen. «China ist ein verantwortungsbewusstes Land und hält sich immer strikt an internationales Recht», sagte er laut Xinhua. China hatte zuvor beteuert, es handele sich um einen «zivilen» Ballon insbesondere für «meteorologische Zwecke», der versehentlich in den US-Luftraum geflogen sei.
«Schiesst den Ballon ab!»
Der Überflug des Ballons von der Grösse dreier Busse war am Donnerstag publik geworden. «Ziel des Ballons ist ganz klar Spionage und sein aktueller Weg führt ihn über sensible Stützpunkte», sagte ein Pentagon-Vertreter. In der Region befinden sich unter anderem Luftwaffen-Stützpunkte und unterirdische Atomraketen-Standorte. Allerdings ist die Gefahr nach Einschätzung des Pentagon nicht besonders gross: «Wir sind zu der Erkenntnis gelangt, dass dieser Ballon aus Spionage-Sicht nur eingeschränkte Fähigkeiten hat.»
US-Präsident Joe Biden (80) hatte nach Entdeckung des Ballons nach Angaben eines Pentagon-Beamten angeordnet, einen möglichen Abschuss zu prüfen. Verteidigungsminister Lloyd Austin (69) und die Spitzen des Militärs hätten sich letztlich dagegen entschieden, weil bei einem Abschuss durch die herunterfallenden Teile zu viele Menschen am Boden gefährdet werden könnten. Der frühere US-Präsident Donald Trump (76) forderte trotzdem einen Abschuss: «Schiesst den Ballon ab!», schrieb der Republikaner auf der Online-Plattform Truth Social.
Die Spannungen zwischen China und den USA haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dabei geht es unter anderem um den Konflikt um Taiwan und um Handelsfragen. In den vergangenen Monaten hatte es aber auch Zeichen der Entspannung gegeben. So trafen sich Biden und der chinesische Staatschef Xi Jinping (69) im vergangenen November am Rande des G20-Gipfels in Indonesien. Biden betonte dabei, er wolle einen «energischen» Wettkampf mit China, aber «keinen Konflikt». (AFP/jmh)