Steve Scalise (58) gibt das Rennen um den Vorsitz im US-Repräsentantenhaus auf. Das sagte er am Donnerstagabend (Ortszeit) vor Journalisten, nachdem er sich nicht ausreichenden Rückhalt in seiner eigenen Fraktion sichern konnte.
Diese hatte ihn zuvor zwar für den einflussreichen Posten nominiert, eine Mehrheit in der Kongresskammer wäre ihm aufgrund mehrerer Abweichler in den Reihen der Republikaner aber wohl verwehrt geblieben.
Damit bleibt das Repräsentantenhaus bis auf weiteres gelähmt – und das zu einer Zeit, zu der die US-Regierung weitere Militärhilfen für Israel und die Ukraine beschliessen und eine Mitte November drohende Haushaltssperre verhindern will.
Bei den Abgeordneten sorgte die Uneinigkeit in der Partei für Missmut. Der republikanische Abgeordnete Troy Nehls sagte zu CNN» «Wir verwirren das amerikanische Volk. Die denken, dass der ganze Ort hier ein Zirkus ist. Das ist einfach nur absolutes Chaos.»
Tiefe Spaltung
«Es gibt immer noch einige Leute, die ihre eigene Agenda haben», sagte Scalise nach einer Sitzung seiner Fraktion. Es gebe Meinungsverschiedenheiten, die gelöst werden müssten. Scalise mahnte: «Dieses Repräsentantenhaus braucht einen Vorsitzenden.» Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses kommt in der staatlichen Rangfolge an dritter Stelle nach dem Präsidenten und dessen Vize.
Das politische Schauspiel legt die tiefe Spaltung der republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus offen. Dort haben mittlerweile radikale und ultrarechte Kräfte so viel Macht bekommen, dass sie den Ton angeben können. Das liegt nicht nur an der knappen Mehrheit, die wenigen einen grossen Einfluss ermöglicht. Es ist auch Folge dessen, dass die Fraktionsführung die Parteikollegen vom ganz rechten Rand in den vergangenen Jahren gewähren liess, da sie oftmals Schützlinge der immer noch populären Parteigrösse Donald Trump (77) sind.
«Ich bereue gar nichts», sagte der Abgeordnete Matt Gaetz dem Sender CNN, nachdem Scalise seine Kandidatur zurückgezogen hatte. Der Hardliner aus Florida war es, der McCarthys Sturz eingeleitet hatte. «Die Leute sagen, dass hier Chaos herrscht», so Gaetz. Er sehe das anders.
Nun wird noch deutlicher, was sich schon in den vergangenen Monaten beim Streit um die Schuldenobergrenze oder den Haushalt zeigte: Den Radikalen geht es nicht um tragbare Lösungen und Konsens – sie wollen das politische System vielmehr an seine Grenzen bringen, mit allen Regeln und Konventionen brechen und radikale Forderungen durchsetzen.
Kandidat der Mitte
Deshalb ist auch völlig offen, ob sich die Fraktion nun schnell auf einen neuen Kandidaten einigen kann, hinter dem sie dann auch bei einer Wahl geschlossen stünde. Viele Republikaner präferieren den Trump-Anhänger Jim Jordan (59). Möglich wäre aber auch ein Kompromisskandidat, an dem sich weniger Abgeordnete in der Fraktion reiben dürften. Diverse Namen kursieren. Eine Möglichkeit wäre der derzeitige Interimssprecher Patrick McHenry (47).
Immer wieder fiel auch der Name Trump. Der einstige Präsident scheint zumindest in der Fraktion der Republikaner nicht allzu viel zu melden zu haben – mitmischen tut er aber dennoch. Sein favorisierter Kandidat Jordan fiel in der ersten internen Abstimmung durch.
Dass Trump auf die Gefolgschaft seiner Anhänger nicht bedingungslos setzen kann, zeigte sich bereits im Januar. Damals unterstützte Trump McCarthy – der wurde dennoch erst im 15. Wahlgang gewählt, weil ihm die Radikalen lange die Gefolgschaft verwehrt hatten.
Eine andere Option wäre ein Kandidat der Mitte, auf den sich gemässigtere Republikaner mit kooperationsbereiten Demokraten einigen könnten. Der demokratische Minderheitsführer Hakeem Jeffries (53) brachte Medienberichten zufolge bereits eine solche Lösung ins Spiel. Doch angesichts der tiefen politischen Gräben zwischen den Lagern in den USA wäre solch ein parteiübergreifender Schulterschluss geradezu eine Sensation. Und für die Republikaner eine Schmach, wenn sie trotz Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht in der Lage wären, einen eigenen Kandidaten zu finden. (neo/SDA)