Saudis verehren Mohammed Bin Salman
Das Volk des Prinzen

Ende Juni schaute die ganze Welt nach Saudi-Arabien. Frauen erhielten endlich die Erlaubnis, Auto zu fahren. Unsere Reporterin Alexandra Fitz war vor Ort und erlebte die Omnipräsenz von Mohammed bin Salman.
Publiziert: 28.10.2018 um 15:25 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2018 um 14:54 Uhr
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König Salman bin Abdulaziz und sein Sohn Mohammed bin Salman auf einem Werbeplakat in Riad.
Foto: DUKAS
Alexandra Fitz

Am 5. Juni dieses Jahres sass ich mit dem Fotografen Thomas Meier im saudischen Konsulat in Bern. Monatelang hatte ich recherchiert und Gesprächspartnerinnen vor Ort ausfindig gemacht. In meinem Kopf gab es kein anderes Thema mehr als die Frauen, denen es Ende Juni erlaubt sein würde, in Saudi-Arabien Auto zu fahren.

Ich musste ins Königreich.

Journalisten hatten bisher so gut wie keine Chance, nach Saudi-Arabien zu reisen. Touristen erst recht nicht. Der einzige Grund, weshalb Ausländer in den Wüstenstaat durften: Business. Doch das schien für den Juni nicht zu gelten. Journalisten? Plötzlich erwünscht. So wie der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman plötzlich von jedem Staatsmann empfangen wurde, so empfing er nun die Medienschar, um seine Reformen in die grosse weite Welt hinauszustreuen. Aber bitte kontrolliert. In der Schweiz und weiteren europäischen Ländern wurde vom saudischen Informationsministerium sogar eine PR-Firma beauftragt, um am 24. Juni, dem Tag, an dem den Frauen offiziell erlaubt wurde, Auto zu fahren, für Journalisten eine Reise ins KSA zu organisieren. Das Programm: Aufzeigen, wie grossartig «die tiefgreifenden Reformen» des neuen Kronprinzen sind. Wir hatten die Reise ins Wüstenland bereits auf eigene Faust ­geplant. Der Fotograf und ich blieben die einzigen Schweizer.

Der Kronprinz MbS macht ein besseres Land aus Saudi-Arabien

Der Kronprinz ist omnipräsent in Riad. Riesige Plakate mit dem Bild des saudischen Machthabers thronen in der Landschaft. König Salman und sein Sohn Mohammed bin Salman lächeln auf ihr Volk herab. Egal, von welchem Projekt uns Hotelangestellte, Uberfahrer oder Ministeriumsangestellte erzählen: Federführend ist immer MbS. Die Huldigung des Thronprätendenten wird uns in den Tagen, in denen wir aus Saudi-Arabien berichten, ständig begleiten. Er ist nämlich nicht nur der Mann, der den Frauen das Fahren erlaubt. Er ist für die saudische Bevölkerung noch viel mehr. Er ist alles.

«MbS! MbS! MbS!», ruft die Aktivistin in ihrem eigenen Wohnzimmer, umzingelt von über zwei Dutzend Frauen. Ein britischer Kameramann steht neben mir und fragt leise: «Was ist MbS?» MbS ist der Grund, warum die Aktivistin und saudische Frauen am 23.6., kurz vor Mitternacht, in diesem Haus nördlich der Küstenstadt Dschidda feiern.


«Der Kronprinz bin Salman macht aus dem KSA ein besseres Land», erzählt uns eine bekannte Modedesignerin aus Dschidda. Und die Fahrlehrerin, die Hunderte junger Frauen das Fahren lehrt, schreibt all die Modernisierungen dem Kronprinzen zu. Was die junge Frau sagt, ist kein Zufall. Als Teil einer Journalistengruppe führt man uns durch die grösste Frauen-Fahrschule Riads. Sie ist eine der wenigen, die mit den Medien sprechen darf. Es wird uns genau gesagt, mit wem es erlaubt ist zu sprechen und was fotografiert werden darf. Als wir uns nicht daran halten, werden wir sofort gerügt.

Als Journalist bekommt man einen Begleiter


Im Land selber gibt es keine unabhängigen Institutionen oder Persönlichkeiten. MbS will alles kontrollieren. Auch die ausländischen Medien, auf die man sich anlässlich der neusten Vorzeige-Reformen im Land einlässt. Sobald man als Journalist das Königreich betritt, bekommt man von der Regierung einen sogenannten «Minder» zur Seite gestellt. Das SonntagsBlick-Magazin-Team war in den ersten Tagen ohne Guide unterwegs. Nach ein paar Tagen im Land meldete sich der für uns zuständige Aufpasser beharrlich via Facebook, E-Mail und Whatsapp. Als er schrieb, dass er bereits unsere Redaktion in Zürich angerufen habe, meldeten wir uns. So heftete er sich als Mitarbeiter der Regierung an unsere Fersen. Keine Fahrten mehr mit Uber, kein «Wir gehen heute auf eigene Faust los». Als wir es eines Abends doch tun und im Haus einer saudischen Familie sitzen, sagt man uns: «Sie wissen, dass ihr hier seid. Sie wissen alles.»

MbS wird verehrt, und MbS wird gefürchtet. Über ihn verliert kein Saudi im Land ein kritisches Wort – insbesondere nicht gegenüber Journalisten. Als wir Fragen, warum es denn so lange gedauert habe, bis Frauen ins Kino, ins Stadion und hinters Steuer durften, bekommen wir nur Floskeln zur Antwort: Es hänge mit der Tradition zusammen, und jetzt sei eben der passende Zeitpunkt. Und bei der Frage, warum dieser angebliche Heilsbringer diejenigen, die für den Fortschritt wie die Fahrerei kämpfen, ins Gefängnis stecke, weichen sie aus und meinen, die Fälle nicht zu kennen. Geht man weiter darauf ein, wollen sie nicht darüber reden.

Als wir bei einer Saudierin in der Stube sitzen und über ihre Protestaktion in den 90er-Jahren sprechen wollen, bei der sie von der Polizei festgehalten wurde, entgegnet die 52-Jährige: «Warum über das Alte sprechen, wenn wir nun diesen Sieg feiern?» Auf Arabisch wendet sie sich an ihre beiden Töchter und sagt Dinge, die die Journalisten aus Europa nicht hören sollen.

Vorsichtig mit Forderungen

Gleich neben der Bewunderung sitzt die Angst. Die bekannte Aktivistin, die in der Autonacht frenetisch das Kürzel des Prinzen singt, gibt an diesem Abend in Dschidda zwar zu: Autofahren sei bloss ein kleiner Zwischenschritt. Die Vormundschaft müsse man abschaffen. Sie gebe nicht länger Ruh, bis die Frauen Saudi-Arabiens unabhängig von den Männern seien. Öffentlich zu ihrer Forderung steht sie nicht. Nach meiner Rückkehr in die Schweiz erhalte ich kurz vor Redaktionsschluss eine Whatsapp-Nachricht. Ich solle die Vormundschaft unter keinen Umständen im Zusammenhang mit ihrem Namen erwähnen. Weil sie nach ihrer internationalen Medienpräsenz gemassregelt wurde? Weil die Journalisten erfahren sollen, was MbS alles Gutes tut, und nicht, wie weit der Weg zu einer freien Gesellschaft in Wahrheit noch ist? Weil die Reformen direkt vom König kommen und nicht von Aktivistinnen?

Sie bittet darum. Ich streiche es, ihr Schutz geht vor.

Einzig ein Informant, der schon einige Jahre in Riad lebt und in ­einem geschützten Rahmen redet, lässt Zweifel an MbS durchsickern. Er spricht von der gewaltigen Bewegung im Land und davon, dass sich einiges tut. Er wirft im vertraulichen Gespräch aber die Frage auf: «Geht das alles am Ende auf? Übernimmt MbS sich nicht?» Klarer drückt man sich nur jenseits der Grenzen des Wüstenstaats aus. Saudis im Ausland reden einigermassen offen über das totalitäre Regime. Ich telefoniere mit der saudischen Menschenrechtsaktivistin Hala Al-Dosari, die in den Vereinigten Staaten lebt. Eine Stunde lang erzählt sie mir, weshalb sie in MbS nicht die Erlösung und Modernisierung sehe, die alle beschwören. Er dulde keinerlei Einmischung, deswegen mache er Kritiker mundtot. Der Kronprinz schaffe sich ein Vakuum, in dem es keinen konstruk­tiven Dialog mehr gebe.

Dieser Tage schreibe ich der Aktivistin aus Dschidda eine Nachricht. Wie es ihr gehe und was ihre Meinung zum Fall sei. Natürlich würde ich sie nicht namentlich zitieren. Sie hat meine Nachricht gelesen. Es kommt keine Antwort.

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