Die meisten Szenen könnten einem blutrünstigen Krimi entstammen: Die 16-jährige Elisabeth telefoniert in Todesangst mit ihrem Vater. «Dann war der Anruf plötzlich zu Ende», schreibt Seierstad. «Eine Kugel war durch Elisabeths Gehörgang in ihren Schädel eingedrungen und aus dem anderen Ohr wieder ausgetreten. Erst in der rosafarbenen Handyhülle blieb sie stecken.»
69 Menschen starben am 22. Juli 2011 auf der kleinen, norwegischen Fjordinsel Utøya. Die meisten waren junge Leute, politisch engagiert und lebensfroh. Sie wurden eiskalt erschossen von Anders Behring Breivik. Acht weitere Norweger verloren ihr Leben, als Breiviks Bombe im Osloer Regierungsviertel explodierte.
Jetzt, fast fünf Jahre danach, erscheint auch in deutscher Übersetzung eine schockierende, kraftvolle Rekonstruktion dieses Terrorakts. «Einer von uns» ist ein Buch, durch das man sich quält, bei dem man zwischendurch tief durchatmend die Augen schliesst, das aber jede Seite zu lesen wert ist.
Die Journalistin Seierstad hat nicht nur den Osloer Terrorprozess verfolgt und psychiatrische Gutachten gelesen. Sie sprach kurz vor deren Tod mit Breiviks Mutter, ging mit Familien der Opfer spazieren, traf Überlebende. Auch den Massenmörder selbst bat sie um ein Interview - weil es im Journalismus wichtig sei, «direkt an die Quellen zu gehen», erklärt sie im Nachwort. Breivik weigerte sich.
Seierstad, die als Kriegsreporterin in Afghanistan, im Irak und in Tschetschenien war, verwebt das Leben des Attentäters mit dem seiner Opfer. Eigentlich habe es sich falsch angefühlt, ihre Geschichten auf denselben Seiten zu sammeln, sagte sie einmal. Doch so ist ihr Buch mehr als die Beschreibung eines grausamen Massenmords. Es ist ein Buch über Norwegen und seine Gesellschaft, über Flüchtlinge und Demokratie.