Russlands Chefdiplomat Lawrow zwingt Blinken nach Genf
Wer ist «Putins bester Mann»?

Er raucht, er flucht – und ist knallhart: Am Freitag trifft der russische Aussenminister Sergei Lawrow seinen US-Amtskollegen Antony Blinken in der Schweiz. Ob das den Durchbruch bringt, ist unklar.
Publiziert: 20.01.2022 um 19:49 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2022 um 20:17 Uhr
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Seit 18 Jahren russischer Aussenminister: Sergei Lawrow.
Foto: imago images/photothek
Fabienne Kinzelmann

Eigentlich wollte US-Präsident Joe Biden (79) die Ukraine-Verhandlungen der erfahrenen Nummer zwei im Aussenministerium überlassen. Die hartgesottene Verhandlungsführerin Wendy Sherman (72) hatte unter anderem schon das heikle Iran-Abkommen verantwortet. In Genf sollte sie ausloten, ob es in der Ukraine zum Krieg kommt.

«Wenn irgendjemand Russland von der Ukraine-Invasion abhalten kann, ist es vermutlich Wendy Sherman», jubelte «Time». Doch die Gespräche der vergangenen Woche in Genf verliefen weitgehend ergebnislos.

Jetzt muss Shermans Chef ran. Der US-Aussenminister Antony Blinken (59) und Russlands Aussenminister Sergei Lawrow (71) treffen sich heute Freitag in Genf. Das Ziel: die diplomatischen Gespräche fortsetzen und Russland zur Deeskalation bewegen.

Blinken hatte zuvor mit Lawrow telefoniert. «Im Rahmen dieses Gesprächs beschlossen die beiden, dass es sinnvoll wäre, sich persönlich zu treffen», sagte eine Regierungsvertreterin.

Seit 18 Jahren Putins undiplomatischer Chefdiplomat

Der Impuls dürfte von Russland ausgegangen sein. Putin will bekanntermassen nur auf Top-Level-Ebene verhandeln. Schon sein Treffen mit Biden in Genf im vergangenen Juni war genau das, was er wollte.

Nun schickt Putin also seinen besten Mann nach Genf: Sergei Lawrow, seit fast 18 Jahren Russlands Aussenminister – für Putins Verhältnisse eine extrem lange Zeit.

Lawrow gilt als hoch intelligenter Zyniker. Schon 1972 erhielt er seinen ersten Diplomatenposten, er spricht neben Englisch und Französisch auch exotische Sprachen wie etwa das maledivische Dhivehi, lebte lange in New York und kennt die internationalen Organisationen und Konflikte bestens.

Ein Chefdiplomat, der allerdings nicht besonders diplomatisch ist. Im Gegenteil, er geniesst es, seine Verhandlungspartner öffentlich zu demütigen. Den EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell (74) etwa kanzelte er vergangenes Jahr auf offener Bühne ab – die EU sei «unzuverlässig», ihre Regierungschefs getrieben von «kultureller Arroganz».

Wie ungern er nachgibt, bewies Lawrow auch bei den Vereinten Nationen. Das 2003 im UN-Hauptgebäude eingeführte Rauchverbot boykottierte der Kettenraucher demonstrativ und beschimpfte UN-Generalsekretär Kofi Annan als «Verwalter».

Bekannt ist neben Lawrows Liebe zu italienischen Anzügen, seidenen Krawatten, zu Whiskey und zur Jagd auch, dass er gern Gedichte schreibt. 2017 widmete er eines dem verstorbenen russischen UN-Botschafter Witali Tschurkin. Darin heisst es: «Weder Drohungen noch Ultimaten unterbrachen seine Vorwärtsbewegung.» Standhaftigkeit ist genau das, was Putin wie Lawrow schätzen.

Diese Stärke besitzen die russischen Verhandlungspartner selbst offensichtlich gerade nur bedingt. Europa ist bei den Ukraine-Verhandlungen aussen vor, besonders Deutschland wird für seine unklare Linie kritisiert. Erst in den letzten Tagen verschärfte etwa der lange zurückhaltende deutsche Kanzler Olaf Scholz (63, SPD) seinen Ton gegenüber Russland.

Biden verwirrte mit Ukraine-Aussage

US-Präsident Joe Biden wiederum hat seit dem Gipfeltreffen mit Putin in Genf an Rückhalt in der Bevölkerung verloren, der Afghanistan-Abzug geriet zum Debakel. Am Mittwoch dann leistete er sich in Bezug auf die Ukraine-Krise einen Fauxpas.

Bei einer Pressekonferenz im Weissen Haus schien Biden anzudeuten, dass angedrohte Sanktionen der Nato vom Ausmass eines potenziellen russischen Einmarsches abhängen könnten. «Es ist eine Sache, wenn es sich um ein geringfügiges Eindringen handelt», sagte Biden. «Aber wenn sie tatsächlich das tun, wozu sie mit den an der Grenze zusammengezogenen Streitkräften in der Lage sind, dann wird das für Russland eine Katastrophe werden.» Das Weisse Haus besserte nach, doch die Worte waren bereits in der Welt.

Die Situation vor dem Genfer Gespräch zwischen den beiden Aussenministern ist heikel. Putin fordert von den USA und ihren Verbündeten umfassende Sicherheitsgarantien.

Moskau will ein Ende der Nato-Osterweiterung, durch die es sich bedroht sieht. Zudem will Russland erreichen, dass die Nato die Ukraine nicht als Mitglied aufnimmt. Der Westen lehnt dies ab – und befürchtet eine russische Invasion.

Blinken warnt Russland vor «massiven Konsequenzen»

An der ostukrainischen Grenze hat er mehr als 100'000 Soldaten zusammengezogen, die Bedingungen für einen Einmarsch sind praktisch perfekt: Der Boden in Osteuropa ist panzergerecht gefroren, die Welt mit Omikron beschäftigt. Und in Kasachstan, wohin Putin bei den Anti-Regierungs-Protesten Anfang Januar in Windeseile Fallschirmjäger verlegen liess, hat die in den vergangenen Jahren hoch aufgerüstete und trainierte russische Armee gezeigt, wie schnell sie einsatzfähig ist.

US-Aussenminister Antony Blinken besuchte vor seinem Treffen mit Lawrow noch Kiew und Berlin. Er kündigte für den Fall der Fälle «massive Konsequenzen» an.

«Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt, aber sollte es dazu kommen, werden wir in koordinierter Weise hart durchgreifen, um Russland diese Konsequenzen aufzuerlegen», sagte er am Mittwoch nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (43) und seinem Amtskollegen Dmytro Kuleba (40). Es würde sich um Sanktionen handeln, die finanzielle, wirtschaftliche sowie Komponenten der Exportkontrolle hätten, so Blinken weiter.

Die klaren Worte sind wichtig. Damit hatte offensichtlich auch die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (41, Grüne) schon beim Kreml gepunktet. Beobachter urteilten, sie hätte den richtigen Ton zwischen Verhandlungsbereitschaft und Standhaftigkeit getroffen.

Nach einem Treffen mit ihr schlug Lawrow am Mittwoch neue Töne an: Mehrfach betonte er, dass zur Lösung des Konflikts Verhandlungen geführt werden müssten. Das klingt zumindest verhandlungsbereiter als zuvor.

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