Zwar hätten die russischen Behörden eine Gruppe von Männern verurteilt, die im Jahr 2006 direkt an der Ermordung beteiligt gewesen seien, argumentieren die Strassburger Richter. Sie hätten aber nicht angemessen ermittelt, wer die Drahtzieher des Verbrechens waren, hiess es am Dienstag in einer Pressemitteilung des Gerichts.
Russland muss nun den Angehörigen der Journalistin, die sich in Strassburg beschwert hatten, insgesamt 20'000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Sowohl Russland als auch die Beschwerdeführer können das Urteil innerhalb von drei Monaten anfechten. Moskau behielt sich diese Option vorerst offen. Man habe noch Zeit, darüber zu entscheiden, hiess es aus dem Justizministerium.
Untersuchung nur unzureichend
Sie wurde im Oktober 2006 vor ihrer Wohnung erschossen. Nach langen Ermittlungen wurden 2014 mehrere Männer aus Tschetschenien verurteilt. Einer der Verurteilten starb 2017 in einem Gefängnisspital.
Russland hätte in Bezug auf mögliche Hintermänner auch prüfen müssen, ob möglicherweise der russische Inlandsgeheimdienst FSB oder die tschetschenischen Behörden in den Mord verwickelt gewesen sein könnten, argumentierten die Strassburger Richter. Diesen Verdacht hegen die Angehörigen Politkowskajas. Sie vermuten ein politisches Motiv hinter der Tat.
Stattdessen habe Russland ausschliesslich einen mittlerweile verstorbenen russischen Geschäftsmann ins Visier genommen, der vor seinem Tod in London lebte. Wie die Behörden auf diese Spur gekommen waren, hatten sie nach Ansicht des Gerichts nicht erklärt.
Niederige Aufklärungsrate bei politisch motivierten Morden
In Russland hat es mehrere Morde mit politischem Hintergrund gegeben. Vollständig aufgeklärt wurden die Taten selten. Die Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa wurde 2009 im Nordkaukasus erschossen aufgefunden. Obwohl die Regierung eine Untersuchung zusagte, ist die Tat weiter nicht aufgeklärt.
Einer der prominentesten Fälle ist der Mord an dem Ex-Vizeregierungschef und Oppositionspolitiker Boris Nemzow. Er wurde im Februar 2015 nachts in Sichtweite des Kremls erschossen. Fünf Tschetschenen wurden 2017 zu hohen Haftstrafen verurteilt. Nemzows Familie bemängelt aber, dass die Hintermänner noch unbekannt sind. (SDA)