Nach langem Ringen hat sich der Uno-Sicherheitsrat doch noch auf eine eingeschränkte Fortsetzung der humanitären Syrienhilfe geeinigt. Die Lösung, die einem Sieg Russlands gleichkommt, könnte jedoch nach Einschätzung von Hilfsorganisationen die Versorgung von Millionen Notleidenden gefährden.
Das mächtigste Uno-Gremium stimmte am Samstag (Ortszeit) für einen deutsch-belgischen Resolutionsvorschlag bei Enthaltung unter anderem von Russland und China. Deutschlands Aussenminister Heiko Maas (53) zeigte sich angesichts der Einigung trotzdem erleichtert.
Die angenommene Regelung sieht die Offenhaltung von nur noch einem Grenzübergang aus der Türkei für Hilfslieferungen nach Nordsyrien über einen Zeitraum von zwölf Monaten vor. Das entspricht in einem Kernpunkt den Forderungen Russlands. Moskau - einer der wichtigsten Verbündeten Syriens - hatte in den vergangenen Tagen mehrere deutsche Vorschläge mit zwei Grenzübergängen zusammen mit China durch Vetos verhindert.
Fluchtroute wird geschlossen
Hintergrund ist eine seit 2014 bestehende Uno-Resolution, die in der Nacht zu Samstag nach sechs Jahren zunächst ausgelaufen war. Sie erlaubte es den Vereinten Nationen, wichtige Hilfsgüter über Grenzübergänge auch in Teile Syriens zu bringen, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Nach russischem Widerstand wurden die einst vier Übergänge Anfang des Jahres bereits auf zwei reduziert - seitdem hat sich die Versorgungslage für einige Regionen Hilfsorganisationen zufolge deutlich verschlechtert.
Dies könnte sich mit der Einigung vom Samstag zuspitzen, denn im Nordwesten Syriens sind nach UN-Angaben 2,8 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. «Beide Grenzübergänge sind erforderlich, um die Lieferung aufrechtzuerhalten», hatte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock (57) Ende Juni vor dem Sicherheitsrat gesagt. Der Übergang Bab al-Salam, der nun geschlossen wird, hätte den direkten Zugang in eine Region mit einer der höchsten Zahlen an Vertriebenen gesichert. Syrien betont immer wieder, dass die Lieferungen auch dort agierenden Terroristen zukämen.
Zornige Reaktion und Vorwurf der Heuchelei
Aussenminister Maas bezeichnete es als «gute Nachricht für Millionen von Menschen», dass der Kompromissvorschlag angenommen wurde. Das sahen die meisten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in einer hitzigen Diskussion nach der Annahme der Resolution anders. Deutschlands Botschafter Christoph Heusgen (65), der die Verhandlungen geleitet hatte, gab den Vertretern Russlands und Chinas eine Nachricht für ihre Regierungen mit: «Sagt ihnen, dass der deutsche Botschafter fragt, ob die Leute, die die Anweisungen dafür gegeben haben, 500'000 Kindern die Hilfe zu entziehen, morgen noch in den Spiegel gucken können.»
Zuvor hatte der russische Vertreter Dmitri Poljanski Deutschland und Belgien Heuchelei vorgeworfen und auch, bei den Verhandlungen ungeschickt und respektlos gehandelt zu haben. Ein chinesischer Diplomat sagte: «Botschafter Christoph, wir brauchen ihre Vorhaltungen nicht.» Die Vertreter der USA und Grossbritanniens äusserten sich enttäuscht über den Kompromiss, der den Bedürfnissen der syrischen Bevölkerung nicht gerecht werde.
Halbe Million Tote
Seit Ausbruch des Syrienkriegs im März 2011 sind Schätzungen zufolge mindestens 500'000 Menschen ums Leben gekommen. Die Regierungsanhänger kontrollieren mittlerweile wieder rund zwei Drittel des Landes, darunter die grossen Städte. Zu einer schweren Wirtschaftskrise kommt in dem Land momentan noch die Corona-Gefahr. In Idlib gaben die örtlichen Gesundheitsbehörden gerade den Nachweis eines ersten registrierten Corona-Falls bekannt.
Das syrische Pfund war in den vergangenen Monaten abgestürzt, die Preise stark gestiegen. Auch in den Regierungsgebieten klagen viele Syrer über eine mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten. Nach Schätzungen des Welternährungsprogramms WFP - einem humanitären Nebenorgan der UN - haben rund 9,3 Millionen Syrer nicht mehr genug zu essen und sind deshalb auf humanitäre Hilfe angewiesen - 1,4 Millionen mehr als sechs Monate zuvor. Die Lage im von Regierungsgegnern kontrollierten Nordwesten Syriens ist besonders angespannt. Anfang des Jahres waren rund eine Million Menschen vor einer Regierungsoffensive in die Region geflohen. (SDA)