Russland-Expertin Sabine Fischer ordnet ein
«Schon bei einer Teil-Niederlage müsste Putin seinen Sturz befürchten»

Russlands Präsident Putin steht mit dem Rücken zur Wand. Der Ukraine-Krieg läuft ganz anders als geplant und auch die Stimmung in der Bevölkerung könnte bald kippen. Putin braucht jetzt mehr denn je einen militärischen Sieg.
Publiziert: 26.03.2022 um 14:12 Uhr
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Aktualisiert: 26.03.2022 um 15:38 Uhr
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Hat sich grob verkalkuliert. Wladimir Putin braucht jetzt mehr denn je einen militärischen Sieg, um seine Macht zu halten.
Foto: keystone-sda.ch

Dass sich Russlands Präsident Wladimir Putin (69) beim Ablauf der Ukraine-Invasion ziemlich verschätzt hat, ist ziemlich schnell klar geworden. Doch wie konnte sich der Ex-Geheimdienstoffizier derart täuschen?

«Der bisherige Kriegsverlauf beruht auf massiven Fehleinschätzungen in der gesamten russischen Kommando- und Entscheidungskette», sagt Russland-Expertin Sabine Fischer (53) zu «Focus». Für Fischer liegt es auf der Hand, dass die Widerspenstigkeit der Ukraine komplett unterschätzt wurde. «Bestimmte Szenarien konnte man sich deswegen überhaupt nicht vorstellen: zum Beispiel den vehementen Widerstand aus der Bevölkerung.»

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Putin trifft Entscheidungen in sehr kleinen Informationsblase

Trotzdem ist es erstaunlich, dass das übermächtige Russland derart daneben griff. Aber auch hierfür gebe es laut Fischer einen klaren Grund. «In seinen 22 Jahren an der Macht hat Putin ein System etabliert, das verhindert, dass bestimmte Informationen überhaupt zu ihm durchdringen können». Sicherheitsdienste und Expertengremien hätten wahnsinnig Mühe, realistische und unangenehme Informationen an den Kremlchef heranzutragen.

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«Putin trifft seine Entscheidungen offensichtlich in einer sehr kleinen Informationsblase, was die Anfälligkeit für Fehler enorm erhöht», so Fischer. Durch die Pandemie habe sich Putin zudem noch weiter isoliert.

Der schleppende Kriegsverlauf wird für den Kremlchef jetzt zunehmend problematisch. «Er braucht einen Sieg, denn alles andere würde seine Position im eigenen Land extrem destabilisieren», wagt Fischer vorherzusagen. Zurzeit stehe Putin deshalb mit dem Rücken zur Wand. Er sei gezwungen, den Krieg fortzuführen, da ihm das Kriegsziel «Befreiung des Brudervolks» keine andere Wahl lasse.

Bevölkerung könnte schon bald genug haben

Bisher äussert die russische Bevölkerung ihren Unmut noch hinter vorgehaltener Hand. Doch das könnte schon bald vorbei sein. Denn die wirtschaftlichen Folgen für Russland sind bereits jetzt enorm. Fischer: «Die Lebensverhältnisse der russischen Bevölkerung werden sich in absehbarer Zeit noch einmal deutlich verschlechtern und auch die Eliten werden davon betroffen sein». Die Tatsache, dass der Krieg immer mehr zur Bevölkerung durchdringe, würde dieser die hohen russischen Opferzahlen bewusstmachen, auch weil viele Familien davon betroffen seien.

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Kurz gesagt: Putin hat alles zu verlieren. «Für Putin sind die Kosten des Krieges bereits jetzt viel zu hoch, als dass er sich einen Rückzug noch leisten könnte. Schon bei einer Teil-Niederlage müsste er seinen Sturz fürchten», ist sich Fischer sicher.

Genauso wie für Putin gehe es auch für die Ukraine gerade um alles. «Letztendlich entscheidet sich die Frage über Sieg und Niederlage aber darin, ob die Ukraine als souveräner Staat weiter existiert oder nicht», so Fischer.

Nato-Präsenz beruhigt die baltischen Staaten

Doch nicht nur in der Ukraine fürchtet man sich um die Zukunft. Auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind besorgt. Fischer finde es deshalb richtig, dass die Nato im Baltikum ein deutliches Signal an Putin sendet und ihre militärische Präsenz erhöht. «Russland sieht im Nato-Verteidigungsfall noch immer eine rote Linie, die es wohl nicht überschreiten wird.»

Auch die Diskussion um den Nato-Beitritt der neutralen Staaten Schweden und Finnland sei in der gegenwärtigen Lage nachvollziehbar. Es würde die beiden Länder vor einem russischen Angriff schützen. Ganz sicher könnten sie sich aber auch dann nicht sein. Denn, so sagt Fischer: «Ausschliessen lässt sich nach den vergangenen Wochen nichts mehr.» (ced)


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