Russischer Journalist schreibt über die Lage in seinem Land
Putins Krieg gegen das eigene Volk

Der Moskauer Autokrat unterdrückt die Bevölkerung mit immer härteren Mitteln. Jungjournalist Andrei Kusnetsow * schreibt für SonntagsBlick über die Lage in Russland.
Publiziert: 13.03.2022 um 13:47 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2022 um 17:24 Uhr
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Die Polizei in St. Petersburg führt eine Kriegskritikerin ab.
Foto: imago images/NurPhoto
Andrej Kuznetsov* aus Russland

Wladimir Putin bringt sein Volk auf Linie. Wer in Russland für Frieden auf die Strasse geht, wird niedergeknüppelt und verhaftet. Seit dem 24. Februar nahmen die Sicherheitsbehörden mehr als 13'000 Menschen fest, die gegen den Krieg demonstrierten.

Wobei: Gemäss Kreml gibt es diesen Krieg überhaupt nicht. In der Ukraine sei nur eine russische «Sonderoperation» im Gange. Neu wird mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft, wer «falsche» Berichte über die Ereignisse in der Ukraine verbreitet. Viele internationale Medien haben sich deshalb aus Russland zurückgezogen.

Und weil es keinen Krieg gibt, darf es auch keine Antikriegsproteste geben. Das in Moskau ansässige Oppositionsblatt «Nowaja Gaseta» schreibt zur Vermeidung von Repressionen nur noch von Protesten «gegen Sie wissen schon was».

Unter den vielen verhafteten Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegnern ist auch die Künstlerin Alexandra Kaluzhskikh. Der 26-Jährigen gelang es bei ihrer Festnahme auf dem Komsomolskaja-Platz in Moskau, die Aufnahmetaste ihres Smartphones zu drücken. So zeichnete sie auf, wie sie in der Polizeistation verhört und geschlagen wurde. Die «Nowaja Gaseta» veröffentlichte einen Teil der Aufnahmen. Man hört, wie die Frau weint. Ein Polizist sagt: «Putin ist auf unserer Seite! Ihr seid Feinde Russlands, ihr seid Feinde des Volkes.»

Dmitri Muratow, Mitbegründer der Zeitung und Friedensnobelpreisträger, appellierte an den russischen Innenminister, den Fall zu untersuchen.

Die Gerichte in Russland haben bereits begonnen, Kriegskritiker aufgrund des neuen Gesetzes zu verurteilen. Ein 26-Jähriger muss wegen Verunglimpfung der russischen Armee 30'000 Rubel zahlen, umgerechnet etwa 250 Franken. Er war in der Stadt Pljos mit einem Kreml-kritischen Plakat aufgegriffen worden. Ein Mann aus der Stadt Kostroma muss umgerechnet 200 Franken zahlen. Er wurde mit einem Transparent erwischt, auf dem er Russlands Krieg gegen die Ukraine als «Spezialoperation für die Steuern» betitelte.

Während die russische Zensurbehörde Roskomnadsor Facebook und Instagram sperrt, wird das Netz mit Propagandavideos der sogenannten Z-Bewegung geflutet. Der Buchstabe wurde in den letzten Wochen zum Symbol der Unterstützung für Putin und die Armee. Er prangt nicht mehr nur auf den russischen Panzern, sondern nun auch auf Autos, Plakaten und Profilfotos in sozialen Medien. Das russische Verteidigungsministerium schreibt auf Instagram, das Z stehe für den Ausruf «Za Pobedu», was mit «Auf zum Sieg» übersetzt werden kann.

Derweil zeigen die Sanktionen Wirkung: Der Rubel befindet sich im freien Fall. Die Kreditwürdigkeit Russlands ist praktisch auf null gesunken, der Börsenhandel ausgesetzt. Immer mehr internationale Firmen schliessen ihre Filialen in Russland. Die Folgen sind im Alltag bereits zu spüren: kein Big Mac mehr, kein Ikea-Sofa, kein Spotify – Tausende Menschen verlieren ihre Jobs. Die russischen Behörden versuchen, die Bevölkerung zu beruhigen, und erklären, die Situation sei unter Kontrolle.

Statt Big Macs gibt es nun das für Russland und die Ukraine typische Gebäck Piroschki, statt Cola trinkt man Kwas. Der russischsprachige Fernsehsender «Current Time» führte kurz vor der Schliessung von McDonald’s eine Umfrage auf den Strassen Moskaus durch. «Warum haben sie uns das angetan?», klagt eine Frau. Eine andere sagt: «Jetzt werden die Leute auf ihre Gesundheit achten und aufhören, diese ungesunden Speisen zu essen.»

* Der Name des Autors, der in Russland lebt, wurde aus Sicherheitsgründen geändert

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