Ulrich Kühn (42), Leiter des Forschungsbereichs «Rüstungskontrolle und Neue Technologien» am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) hat den Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs genau beobachtet. Für den Experten war klar, dass dahinter kein technisches Versagen stecken kann. Nun teilte der Iran mit, dass sie die Maschine «versehentlich» abgeschossen hatten.
BLICK: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Absturz der Boeing 737 in Teheran hörten?
Ulrich Kühn: Ich dachte sofort, das ist kein natürlicher Absturz! Das Unglück erinnerte mich stark an die Passagiermaschine der Malaysia Airlines, die 2014 in der Ostukraine von einer russischen Rakete getroffen wurde. Der Absturz erfolgte, kurz nachdem der Iran die US-Stützpunkte im Irak bombardierte. Der Zufall, dass ausgerechnet in dieser Situation eine Passagiermaschine wegen eines technischen Defekts abstürzt, wäre einfach zu gross.
Wie konnte es zum Abschuss kommen?
Die Iraner hatten zu dem Zeitpunkt Raketen abgefeuert als Vergeltung für den Tod des Generals. Sie mussten mit Gegenmassnahmen rechnen. Man wappnet sich gegen Luftangriffe. Da werden defensive Radarsysteme eingeschaltet, die mit dem taktischen Kurzstrecken-Flugabwehrraketen-System verbunden sind. Solche Abwehr-Raketen holen fast alles vom Himmel.
Auch eine Passagiermaschine?
Das kann leicht passieren. Das System selber ist ziemlich fehlersicher. Das Problem ist der Mensch am Bildschirm, der die Passagiermaschine nicht erkennt.
Ist also das Versagen eines Einzelnen schuld an der Katastrophe?
Nein, ich glaube nicht, dass man einen Einzelnen für das Unglück verantwortlich machen sollte. Schuld ist die politische und militärische Führung des Irans.
Inwiefern?
In dieser angespannten Situation wurde versäumt, den zivilen Luftraum zu sperren. Das Land verfügt über ein massives Arsenal an Kurz- und Mittelstreckenraketen, die sofort einsetzbar sind. Sie nehmen Raketenangriffe vor, müssen mit Gegenschlägen rechnen und lassen gleichzeitig zu, dass in diesem Durcheinander noch Passagiermaschinen starten.
Hat der Iran ein Interesse an einer vollständigen Aufklärung?
Ich denke ja. Wichtig ist nun aber erst mal, dass die Blackboxen in Anwesenheit internationaler Beobachter untersucht werden können.