Rücktritt von Ministerpräsident Mark Rutte
Niederländische Regierung zerbricht an Migrationspolitik

Die Koalition des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte ist am Streit über die Asylpolitik zerbrochen. Mehrtägige Krisengespräche der vier Koalitionspartner unter der Leitung Ruttes in Den Haag sind gescheitert. Der Premier forderte strengere Asylregeln.
Publiziert: 07.07.2023 um 23:19 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2023 um 23:33 Uhr
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Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte nimmt den Hut.
Foto: keystone-sda.ch

Der niederländische Premier Mark Rutte (56) hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Die Unterschiede bei den vier Koalitionsparteien bei der Migrationspolitik waren unüberbrückbar, sagte der Premier am Freitagabend in Den Haag.

Er wollte noch am selben Abend König Willem-Alexander (56) schriftlich den Rücktritt des Kabinetts anbieten. Er bedauerte diesen Schritt, aber dies sei «eine politische Realität». Rutte liess offen, ob er erneut bei einer Neuwahl antreten werde.

Locker – aber hart: Rutte, der «Houdini niederländischer Politik»

Das Lachen vergeht dem niederländischen Premier Mark Rutte nicht so schnell. Kabinettskrisen, Misstrauensvotum oder eine enttäuschende Wahl: Für den Rechtsliberalen sind das eigentlich alles nur Herausforderungen.

Munter lachend, in einen Apfel beissend, so kennen den 56-Jährigen viele. Er sitzt auf dem Fahrrad und fährt ins Büro, ins «torentje» dem Türmchen, wie sein Amtssitz in Den Haag heisst.

Seit knapp 13 Jahren ist Rutte Premier der Niederlande und damit einer der dienstältesten Regierungschefs der EU. Doch im eigenen Land ist er nach zahlreichen Affären längst nicht mehr unangefochten und zuletzt wurde ihm vor allem von Anhängern seiner Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) vorgeworfen, den stramm rechten Kurs seiner Partei verlassen zu haben. Vor allem bei Klima- und Asylpolitik sei er eingeknickt, wirft ihm auch sein grosser Widersacher, der Rechtspopulist Geert Wilders vor.

Viele Niederländer sahen Rutte lange als guten Krisenmanager, einen, der den Laden zusammenhält. «Er betrachtet sich als Problemlöser, als Manager», sagt seine Biografin Sheila Sitalsing, die renommierte Kolumnistin beschreibt ihn als «Filialmanager eines Warenhauses», den «Manager der Firma Niederlande».

Das galt vor allem in grossen nationalen Bewährungsproben. Der Abschuss von Passagierflug MH17 über der Ostukraine 2014 mit fast 200 niederländischen Todesopfern. Auch während der Corona-Krise machte er nach Ansicht vieler Landsleute seine Sache gut. Doch da waren andere Krisen: So wurden Tausende von Eltern fälschlicherweise des Betrugs mit Kinderbeihilfen beschuldigt, sie mussten Tausende Euro bezahlen und wurden ins bittere Elend gestürzt. Oder im Frühjahr 2021 – Rutte wollte einen unbequemen Kritiker im Parlament loswerden und hatte darüber dem Parlament nicht die Wahrheit gesagt. Nur knapp überstand er ein Misstrauensvotum.

Für Biografin Sitalsing ist Rutte der «Houdini der niederländischen Politik», weil er sich wie der legendäre Entfesselungskünstler elegant aus jeder Krise befreit. Rutte überstand eben alles ohne Kratzer. Die Affären glitten an ihm ab, wie das Spiegelei aus der Teflonpfanne. Nichts schien an «Teflon-Mark» – wie er gerne genannt wurde – haften zu bleiben.

Jeder ist für sich selbst verantwortlich und nicht der Staat – «Der Staat ist keine Glücksmaschine», so nennt Rutte das. Nach diesem Prinzip wurde unter seiner Leitung der soziale Versorgungsstaat radikal umgebaut zur «Partizipations-Gesellschaft».

So wenig Staat wie möglich, das ist auch sein Ideal für Europa. Falls man überhaupt von Idealen sprechen kann - denn damit hat er es nicht so: «Wer Visionen hat, muss zum Augenarzt gehen», sagt der Holländer gerne.

Für ihn ist die europäische Zusammenarbeit ein notwendiges Übel, die vor allem dem Handel dienen soll. Doch ansonsten gilt die Devise: «Europa soll nur das tun, was die Mitgliedstaaten alleine nicht tun können.» Gerade, wenn es ums Geld geht, tritt Rutte auf die Bremse. «Mr. No» nennen sie ihn in Brüssel.

Aber er hatte gerade im Ukraine-Krieg gepunktet, als ein Fürsprecher der Ukraine in der EU und der Nato. Rutte setzte sich stark ein für Waffenlieferungen an die Ukraine – auch Kampfflugzeuge. Zuletzt zog er gemeinsam mit seiner italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni an einem Strang für eine strengere Asylpolitik der EU.

Ruttes Qualitäten, sein Charme, sein Pragmatismus, werden auch international anerkannt. Bisher sind sie in der total zersplitterten politschen Landschaft Hollands ein sicheres Erfolgsrezept gewesen. Rutte kann eben mit nahezu jedem. Mit links, mit rechts. Doch gelingt ihm das erneut? Die Frage ist, ob er überhaupt noch einmal ins «torentje» will oder ob ihm Den Haag nun doch zu klein wird.

Das Lachen vergeht dem niederländischen Premier Mark Rutte nicht so schnell. Kabinettskrisen, Misstrauensvotum oder eine enttäuschende Wahl: Für den Rechtsliberalen sind das eigentlich alles nur Herausforderungen.

Munter lachend, in einen Apfel beissend, so kennen den 56-Jährigen viele. Er sitzt auf dem Fahrrad und fährt ins Büro, ins «torentje» dem Türmchen, wie sein Amtssitz in Den Haag heisst.

Seit knapp 13 Jahren ist Rutte Premier der Niederlande und damit einer der dienstältesten Regierungschefs der EU. Doch im eigenen Land ist er nach zahlreichen Affären längst nicht mehr unangefochten und zuletzt wurde ihm vor allem von Anhängern seiner Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) vorgeworfen, den stramm rechten Kurs seiner Partei verlassen zu haben. Vor allem bei Klima- und Asylpolitik sei er eingeknickt, wirft ihm auch sein grosser Widersacher, der Rechtspopulist Geert Wilders vor.

Viele Niederländer sahen Rutte lange als guten Krisenmanager, einen, der den Laden zusammenhält. «Er betrachtet sich als Problemlöser, als Manager», sagt seine Biografin Sheila Sitalsing, die renommierte Kolumnistin beschreibt ihn als «Filialmanager eines Warenhauses», den «Manager der Firma Niederlande».

Das galt vor allem in grossen nationalen Bewährungsproben. Der Abschuss von Passagierflug MH17 über der Ostukraine 2014 mit fast 200 niederländischen Todesopfern. Auch während der Corona-Krise machte er nach Ansicht vieler Landsleute seine Sache gut. Doch da waren andere Krisen: So wurden Tausende von Eltern fälschlicherweise des Betrugs mit Kinderbeihilfen beschuldigt, sie mussten Tausende Euro bezahlen und wurden ins bittere Elend gestürzt. Oder im Frühjahr 2021 – Rutte wollte einen unbequemen Kritiker im Parlament loswerden und hatte darüber dem Parlament nicht die Wahrheit gesagt. Nur knapp überstand er ein Misstrauensvotum.

Für Biografin Sitalsing ist Rutte der «Houdini der niederländischen Politik», weil er sich wie der legendäre Entfesselungskünstler elegant aus jeder Krise befreit. Rutte überstand eben alles ohne Kratzer. Die Affären glitten an ihm ab, wie das Spiegelei aus der Teflonpfanne. Nichts schien an «Teflon-Mark» – wie er gerne genannt wurde – haften zu bleiben.

Jeder ist für sich selbst verantwortlich und nicht der Staat – «Der Staat ist keine Glücksmaschine», so nennt Rutte das. Nach diesem Prinzip wurde unter seiner Leitung der soziale Versorgungsstaat radikal umgebaut zur «Partizipations-Gesellschaft».

So wenig Staat wie möglich, das ist auch sein Ideal für Europa. Falls man überhaupt von Idealen sprechen kann - denn damit hat er es nicht so: «Wer Visionen hat, muss zum Augenarzt gehen», sagt der Holländer gerne.

Für ihn ist die europäische Zusammenarbeit ein notwendiges Übel, die vor allem dem Handel dienen soll. Doch ansonsten gilt die Devise: «Europa soll nur das tun, was die Mitgliedstaaten alleine nicht tun können.» Gerade, wenn es ums Geld geht, tritt Rutte auf die Bremse. «Mr. No» nennen sie ihn in Brüssel.

Aber er hatte gerade im Ukraine-Krieg gepunktet, als ein Fürsprecher der Ukraine in der EU und der Nato. Rutte setzte sich stark ein für Waffenlieferungen an die Ukraine – auch Kampfflugzeuge. Zuletzt zog er gemeinsam mit seiner italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni an einem Strang für eine strengere Asylpolitik der EU.

Ruttes Qualitäten, sein Charme, sein Pragmatismus, werden auch international anerkannt. Bisher sind sie in der total zersplitterten politschen Landschaft Hollands ein sicheres Erfolgsrezept gewesen. Rutte kann eben mit nahezu jedem. Mit links, mit rechts. Doch gelingt ihm das erneut? Die Frage ist, ob er überhaupt noch einmal ins «torentje» will oder ob ihm Den Haag nun doch zu klein wird.

Erfolglose Krisengespräche

Mehrtägige Krisengespräche der vier Koalitionspartner unter Leitung Ruttes in Den Haag scheiterten am Freitagabend. Die Mitte-Rechts-Partei VVD des Regierungschefs hatte strenge Regeln für Asylbewerber vorgeschlagen und gedroht, das Kabinett zu verlassen, wenn die von Rutte vorgeschlagenen Massnahmen nicht verabschiedet würden. Er hatte gefordert, die Familienzusammenführung für Kriegsflüchtlinge zu erschweren.

Die christdemokratische Partei Christen Unie hatte erklärt, sie könne «mit Ruttes Vorschlag nicht leben», auch die Mitte-Links-Partei D66 von Finanzministerin Sigrid Kaag lehnte die Forderung Berichten zufolge nach dreitägigen Krisengesprächen ab.

Neuwahlen noch dieses Jahr

Ruttes Regierung war die vierte des Rechtsliberalen. Sie war seit Anfang 2022 im Amt. Rutte selbst ist seit knapp 13 Jahren Regierungschef der Niederlande. Eine Neuwahl werde nach Einschätzung von Beobachtern erst im November stattfinden. Die oppositionellen Sozialisten forderten Neuwahlen im Herbst. (SDA/AFP/kes)

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