«Wir ziehen das durch», sagt Wirtschaftsexpertin Alice Nkulikiyinka. In ihrer Stimme schwingt nicht der leiseste Zweifel mit. Das ist eine Ansage. Punkt. Schliesslich geht es um die Zukunft von Ruanda. Und um Würde.
Würde und Zukunft haben mit den Kleidern zu tun, die wir hier in der Schweiz nicht mehr wollen, in Container werfen und uns dabei noch gut fühlen. Schliesslich spenden wir für die Armen in Afrika.
Bloss wollen mittlerweile viele afrikanische Staaten diese Kleider gar nicht mehr. Aus gutem Grund: Seit rund 40 Jahren exportieren Europa und die USA ihre Altkleider. Auf den afrikanischen Märkten werden diese seither so günstig verkauft, dass die heimische Textilindustrie heute kaum mehr existiert. Dabei war die Textilbranche in Ostafrika in den 70er-Jahren einer der wichtigsten Beschäftigungszweige.
Eigene Textilindustrie aufbauen
Ruanda will das ändern. Seit diesem Jahr dürfen keine Altkleider aus dem Westen mehr eingeführt werden. Ruanda will die Kleider wieder selber produzieren. Mit künftig bis zu 25'000 Beschäftigten im Textilsektor rechnet das kleine Land. Präsident Paul Kagame sagte dazu: «Wir müssen uns entscheiden, ob wir Empfänger von gebrauchten Kleidern bleiben oder eine eigene Textilindustrie aufbauen wollen.» Die Entscheidung sei ihm leicht gefallen – das habe auch mit Würde zu tun.
Genau das meint Alice Nkulikiyinka, wenn sie sagt: «Wir ziehen das durch.» Denn Ruandas Wunsch, nicht mehr abhängig von Secondhandkleidern zu sein, stösst auf Widerstand – aus dem Westen.
Als das Land gemeinsam mit Tansania, Kenia und Uganda ankündigte, die Altkleiderimporte zu stoppen, drohte US-Präsident Donald Trump damit, das Freihandelsabkommen African Growth and Opportunity aufzukündigen. Ganz nach dem Motto «America first» dachte er zuallererst an die Arbeitsplätze und das Geld, das in den USA verloren ginge, könnten die Altkleider nicht mehr exportiert werden.
Uganda, Kenia und Tansania krebsten zurück, weil sie sich nicht mit den USA anlegen wollten. Ruanda hingegen zeigte sich unbeeindruckt. Auch dann noch, als Trump das Land deswegen tatsächlich teilweise vom Freihandelsabkommen ausschloss.
Nachfrage nach Unterstützung ist gross
Alice Nkulikiyinka ist nun also mittendrin in diesem Aufbruch, der Ruanda seit ein paar Jahren erfasst hat und zu dem nun auch der Aufbau einer eigenen Textilindustrie gehört. Um an der Zukunft ihres Heimatlandes mitzuarbeiten, ist Nkulikiyinka, die zuvor 25 Jahre in Europa lebte, davon 16 in der Schweiz, nach Ruanda zurückgekehrt. Dort arbeitet sie nun für die Schweizer Nichtregierungsorganisation BPN, die in verschiedenen Entwicklungsländern Kleinunternehmen schult und berät. Konkret geht es um langfristige Planung, und darum, Verantwortung im Wirtschaftssystem zu übernehmen. Dazu gehören auch faire Arbeitsbedingungen.
Die Nachfrage nach der Unterstützung durch die Schweizer NGOs ist grösser als die vorhandenen Kapazitäten und trägt Früchte. Viele Unternehmen konnten sich bereits erfolgreich am Markt positionieren und Arbeitsplätze schaffen. Es seien auch viele junge Leute darunter, die ein Problem erkannt haben und eine Lösung anbieten wollen, sagt Nkulikiyinka.
Eine junge Ruanderin konnte mit Unterstützung von BPN ihr eigenes Modelabel Rwanda Clothing aufbauen. Letztes Jahr präsentierte sie ihre Kollektion in Mailand (I). Mittlerweile hat sie 40 Mitarbeiter und baut ihr Geschäft weiter aus.
In Zusammenarbeit mit der Regierung berät Nkulikiyinka zurzeit auch sechs Textilunternehmer, die künftig Kleider für den heimischen Markt herstellen sollen. Bisher produzierten diese vor allem Uniformen und Werbekleider, beispielsweise für die ruandische Airline.
Nichtsdestotrotz: Es ist ein kühnes Unterfangen, die ruandische Bevölkerung künftig selber einzukleiden. Auch dann noch, wenn die Konkurrenz der Secondhandkleider wegfällt. Der Grund: Billigkleider aus China. Es gibt Kritiker, die sagen, dass ein Importverbot vor allem die Chinesen unterstützen wird, die bereits in anderen Bereichen grossen Einfluss nehmen in Afrika.
Unabhängig von Entwicklungshilfe werden
Nkulikiyinka aber ist überzeugt, dass es gelingt: «Die Frage ist nicht, ob wir es schaffen», sagt sie, «sondern wie schnell.» Und schnell muss es gehen: In Ruanda gibt es trotz Aufbruch noch immer sehr viele arme Menschen, die auf günstige Kleider angewiesen sind.
Trotz der Schwierigkeiten sei in vielen Bereichen ein Umdenken spürbar, sagt Nkulikiyinka. «Die Leute konsumieren heute bewusster lokale Kleidung und Produkte.» Denn Ruandas Vision, so erklärt die Wirtschaftsexpertin, sei nicht nur, unabhängig von den ausgetragenen Kleidern aus dem Western zu werden, sondern generell von Entwicklungshilfe. Nkulikiyinka ist selbstverständlich auch in diesem Punkt überzeugt: «Ruanda wird das schaffen!»