Klasse statt Schlammschlacht. Nach dem wilden TV-Zoff zwischen US-Präsident Donald Trump (74) und Herausforderer Joe Biden (77) in der vergangenen Woche ist das Aufeinandertreffen ihrer Stellvertreter deutlich zivilisierter über die Bühne gegangen. Sowohl Vizepräsident Mike Pence (61) als auch die kalifornische Senatorin Kamala Harris (55) überzeugten bei der eineinhalbstündigen Debatte in Salt Lake City.
«Demokratie ist Streiten, ist Debatte – das war beim ersten Mal wild und chaotisch. Diesmal hatte die Debatte Klasse und Inhalt», analysiert Ringier-Publizist Hannes Britschgi auf Blick TV.
Tatsächlich hielten sich die Kandidaten zurück: Nur 9 Mal unterbrach Harris laut einer Zählung des Onlineportals FiftyThirtyEight Pence – der grätschte ihr dafür 16 Mal dazwischen. Trump hatte Biden vergangene Debatte fast fünfmal so oft unterbrochen.
«Harris darf nicht zu hart sein»
«Kamala Harris hat eine delikatere Position. Man darf nicht vergessen: Sie ist eine schwarze Frau. Sie darf nicht zu hart sein, muss aber Kante zeigen», sagt Hannes Britschgi. Der Amerika-Kenner erinnert an die kulturellen Besonderheiten: Nicht zu forsch und aggressiv aufzutreten, sei in den USA die Rollenerwartung an eine Frau – zumal an eine Schwarze.
Die in Oakland (Kalifornien) geborene Kamala Harris hat jamaikanische und indische Wurzeln. Historisch: Sie nahm als erste Afroamerikanerin an einer solchen Debatte teil.
«Sie hat die Herausforderung erstaunlich präzise gemeistert», sagt Hannes Britschgi. Sie habe Mike Pence reden lassen, ihre Punkte aber dennoch klargemacht. «Nur bei einem Thema ist sie aus der Deckung genommen und hat sich nicht zurückgehalten: Nämlich als Pence sie und ihre Arbeit zweimal persönlich angegriffen hat.» Da habe ihn die Vize-Präsidentschaftsbewerberin deutlich verwiesen. «Da durfte sie auch Kante zeigen. Ansonsten war das in ihrer Rolle schwierig.»
Eine Fliege stahl Pence und Harris die Show
Harris griff Pence vor allem für das miese Corona-Management der Regierung an – Trumps Vize ist Leiter der Corona-Taskforce. Pence punktete dafür bei der Aussenpolitik. Für Pence sei die Herausforderung gewesen, sich angesichts vier Jahren Trump selbst für die US-Wahl 2024 zu positionieren – dann, wenn er selbst die Nummer 1 werden will. «Von der Ausgangslage her war das sehr interessant», sagt Hannes Britschgi. Beide hätten in dieser Nacht überzeugt.
Nach der Debatte redet das Netz vor allem über die schwarze Fliege, die sich zwischendrin auf Pence’ Kopf setzte. Ein lustiger, bildhafter Moment, findet auch Britschgi, der das Duell live verfolgt hat: «Da steht die sehr kraftvolle Kamala Harris mit Emotionen, mit Power. Dem gegenüber stand Pence sehr ruhig und kontrolliert. Und dann kommt diese Schmeissfliege und sitzt auf Mike Pence’ Haaren ...»
Pence ignorierte manche Fragen einfach
Pence habe sich als ehemaliger Radiomoderator sowohl in diesem Moment, als auch in der Debatte generell nicht aus der Ruhe bringen lassen. Im hitzigen US-Wahlkampf fehlten ihm Persönlichkeit und Emotionen. «Aber er hatte auch starke Momente», ordnet Hannes Britschgi ein. Besonders beim Argumentieren sei Pence gut gewesen und habe seine Punkte machen können. Pence’ Trick: Unangenehme Themen ignorieren.
«Er hat zigmal nicht geantwortet!», sagt Britschgi. Etwa auf die Fragen, was seine Position wäre, wenn Trump die Wahlniederlage nicht akzeptieren würde. Oder auf die Frage, warum die USA so schlecht durch die Pandemie kämen. «Er hat dann einfach nicht geantwortet und irgendwas anderes erzählt.» Diese Strategie sei für Pence hervorragend aufgegangen.
Warum bekam die Debatte so viel Aufmerksamkeit?
Beide Kandidaten spielten in der TV-Debatte stark auf den Präsidenten, der sich per Twitter einschaltete. «Mike Pence macht das grossartig! Sie ist eine Ausrutscher-Maschine», twitterte Donald Trump aus der Quarantäne im Weissen Haus.
Das Duell der Vizepräsidenten bekam ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Logisch, findet Hannes Britschgi: «Jetzt, da Trump – 74 Jahre alt – Covid-19 erkrankt ist und auf der anderen Seite ein 77-jähriger Joe Bidern steht, der in seinen Auftritten sehr gebrechlich wirkt, sind zwei Vizes da, die vielleicht die Präsidentschaft übernehmen müssen.»
Die Debatte sei dahingehend eine Offenbarung gewesen. «Bei Pence wusste man, dass er präsidentschaftsfähig ist.» Harris habe sich bei der Debatte bewiesen. «Ich glaube, da hat niemand zugeschaut und gedacht, die Frau könne nicht Präsidentin werden.» In einer «CNN»-Umfrage unter registrierten Wählern unmittelbar nach der Debatte stellten die meisten der Befragten Harris auch das bessere Zeugnis aus. Sechs von zehn (59%) fanden, Harris habe die Debatte gewonnen – nur 38 Prozent fanden, Mike Pence habe die bessere Nacht gehabt. (kin)
Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.
Alle aktuellen Entwicklungen zu den Wahlen und Kandidaten gibt es immer im Newsticker, und alle Artikel zum Thema finden Sie hier auf der US-Wahlen-Seite.
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