Aus Schweizer Perspektive präsentierten sich die Mächte am Persischen Golf bis vor wenigen Wochen generell als gleichwertig, zumindest als ähnlich. Ob man mit Emirates, mit Qatar Airways oder mit Etihad zu einem Luxushotel mit schönem Sandstrand reiste oder ob man in Dubai, Abu Dhabi oder Doha zu einem anderen Zielort umstieg – für Frau und Herrn Schweizer spielte da allenfalls der geringfügig tiefere Ticketpreis eine Rolle. Aber um unterschiedliche Interessen der Regime am Golf kümmerte man sich – zu Recht – nicht.
Dass Katar staatlich eigenständig, ja eigenwillig war und ist, wird Reisenden im Allgemeinen nicht bewusst. Erst die von Saudi-Arabien und den Emiraten angeführte Blockade Katars und die daraus resultierende Krise machten vielen schlagartig klar: Diese scheinbar einheitliche, ja harmonische Golfregion ist in Tat und Wahrheit ein Catch-as-catch-can-Kampfring. Jetzt eben sieht es so aus, als ob David, also Katar, gegen eine ganze Goliath-Front antrete: Saudi-Arabien, Emirate, im Hintergrund unterstützt vor allem durch das von Saudi-Arabien abhängige Regime Ägyptens.
Eigene Groupies
David Katar hat allerdings auch eigene Groupies an Bord: die Türkei und Iran. Und es gibt, wie beim Catchen oder Boxen, Schiedsrichter: Kuwait, etwas diskreter Oman, noch diskreter Europa respektive Deutschlands Aussenminister. Die USA schliesslich sitzen auf zwei gegenseitig angebrachten Bänken von Applaudierern und Zwischenrufern: Donald Trump in der Südkurve, sein Aussenminister Rex Tillerson auf der Nordtribüne. Absurder gehts nicht.
Im Ernst: Will man diese Krise begreifen, muss man bei der Wirtschaft ansetzen, zunächst einmal bei den drei Airlines. Emirates beförderte letztes Jahr 56 Millionen Passagiere und erzielte einen Umsatz von 25,8 Milliarden. Etihad in Abu Dhabi, als Teil des Verbunds der Arabischen Emirate, also eigentlich interner Partner Dubais: 19 Millionen Reisende, 9 Milliarden Umsatz. Qatar Airways: 39 Millionen Passagiere, 10,8 Milliarden Umsatz. Dass da gnadenlose Konkurrenz herrschen muss, ist offenkundig. Sie wird noch verstärkt durch die sich als immer effizienter profilierende Airline Omans. Also warum nicht einmal die Gelegenheit ergreifen, um den lästigen Mitbewerber aus Katar zu eliminieren? Das mögen sich die Rivalen wohl gedacht haben.
Ringen um Absatzmärkte
Das zweite, wichtigere Schlachtfeld: das Ringen um die Absatzmärkte für Erdöl und Erdgas. Das winzige Katar ist, weltweit, zweitwichtigster Produzent von verflüssigtem Erdgas, und das relativ umweltfreundliche Erdgas verdrängt mehr und mehr das Erdöl. Saudi-Arabiens Wirtschaft andererseits ist zu über 90 Prozent abhängig von Erdöl – und nicht nur sinken dessen Preise, es sinken – im saudischen Sandboden – auch die Ressourcen ständig tiefer ab. Geht die Erdölpreis-Tendenz der letzten Jahre unverändert weiter, droht dem protzigen Königreich die Pleite.
2015/16 schrieb Saudi-Arabien ein Defizit von mehr als 90 Milliarden – bei Reserven von allerdings noch respektablen 674 Milliarden. Doch die Preise für das Erdöl stiegen jetzt, 2017, nur marginal. Und nun verpflichtete sich das Regime beim Besuch des US-Präsidenten auch noch, 110 Milliarden für amerikanische Rüstungsgüter auszugeben. Mit der Option, bis in wenigen Jahren weitere 250 Milliarden in die von Trump so geliebte Waffenindustrie zu investieren. Was tut der jetzt 30-jährige Kronprinz und Verteidigungsminister des Landes mit den Waffen? Er führt Krieg im Jemen, mit schon mehr als 10'000 Toten und keinem erkennbaren strategischen Erfolg.
Ist es verwunderlich, dass die saudische Monarchie respektive Diktatur angesichts solcher Fakten wenigstens einen Widersacher, nämlich Katar, wirtschaftlich ausschalten will?
Keine Unschuldsknaben
Die Herrscher Katars allerdings sind gewiss auch keine Unschuldsknaben: Aus Katar floss und fliesst möglicherweise weiterhin Geld zu den Muslimbrüdern in den Konfliktländern Syrien, Irak und Libyen und auch in den Gazastreifen zur Hamas. Allerdings bekannten sich die Herrscher in Katar offen dazu, dass sie gewisse Gruppierungen in Konfliktgebieten unterstützen – im Gegensatz zu den Saudis und den Herrschenden in den Emiraten. Diese Offenheit wird Katar nun zum Verhängnis: Isolation, Grenzschliessung, Ausweisung von Staatsbürgern und von Kamelen, die jenseits der Grenze zu Saudi-Arabien bisher weiden durften. Und Ungewissheiten für Passagiere von Qatar Airways.
Man sollte sich übrigens nicht durch einen Trick in die Irre führen lassen: Die Saudis erklären ja gerne, es handle sich bei all dem um einen Konflikt innerhalb des Islams zwischen den angeblich rechtgläubigen Sunniten und den fehlgeleiteten Schiiten. Doch das ist nichts als Propaganda. Sie soll vom wirklichen Problem ablenken, und das besteht in der wirtschaftlichen Rivalität zwischen Saudi-Arabien plus Emiraten einerseits und Katar andererseits. Und im Hintergrund gehts gegen den Iran. Doch der Iran ist zu stark, dem kann man nicht einfach so ein Ultimatum stellen.